Das Foucaultsche Pendel
reservieren lassen, Platz 45 in Wagen 8. Reserviert bis Rom, so daß ihn weder in Bologna noch in Florenz jemand anderes besetzen kann. Sie sehen, im Tausch für die Mühe, die ich Ihnen zumute, biete ich Ihnen die Sicherheit eines Sitzplatzes, ohne daß Sie sich im Speisewagen niederlassen müssen. Ich habe nicht gewagt, Ihnen auch die Fahrkarte zu besorgen, ich möchte nicht daß Sie denken, ich wollte mich auf so plumpe Weise meiner Schulden entledigen.«
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Wirklich ein echter Gentleman, hatte Belbo gedacht. Er wird mir einen Kasten erlesenen Weines schicken. Auf sein Wohl zu trinken. Gestern wollte ich ihn noch verschwinden lassen, und heute tue ich ihm sogar einen Gefallen. Aber hätte ich nein sagen können?
Am Mittwoch früh war Belbo rechtzeitig zum Bahnhof gefahren, hatte die Fahrkarte nach Bologna gekauft und hatte Agliè am Zug neben Wagen 8 vorgefunden, mit dem Köfferchen. Es war ziemlich schwer, aber handlich.
Er hatte es ins Gepäcknetz über Platz 45 gelegt und sich mit seinem Stoß Zeitungen niedergelassen. Die Meldung des Tages war das Begräbnis Enrico Berlinguers. Nach kurzer Zeit war ein Herr mit Bart gekommen und hatte sich auf den Platz neben Belbo gesetzt. Belbo kam es so vor, als hätte er ihn schon einmal gesehen (hinterher dachte er, vielleicht auf dem Fest in Piemont, aber er war sich nicht sicher). Bei der Abfahrt war das Abteil voll.
Belbo las Zeitung, aber der Passagier mit Bart versuchte mit allen ins Gespräch zu kommen. Erst machte er Bemerkungen über die Hitze, über die Wirkungslosigkeit der Kli-maanlage, über die Tatsache, daß man im Juni nie wisse, wie man sich anziehen solle, ob schon sommerlich oder noch für die Übergangszeit. Dann meinte er, daß die beste Kleidung ein leichter Blazer sei, genau so einer wie der von Belbo, und fragte ihn, ob das ein englischer sei. Ja, hatte Belbo geantwortet, das sei ein englischer, ein Burberry, und hatte wei-tergelesen. »Das sind die besten«, hatte der Herr gesagt,
»aber der hier ist besonders schön, weil er nicht diese goldenen Knöpfe hat, die so furchtbar auffällig sind. Und wenn Sie erlauben, er paßt ausgezeichnet zu dieser weinroten Krawatte.« Belbo dankte und schlug seine Zeitung wieder auf.
Der Bärtige redete weiter mit den anderen im Abteil über die Schwierigkeit, die Krawatten richtig auf die Jacketts abzu-stimmen, und Belbo las. Ich weiß schon, dachte er, jetzt betrachten mich alle als einen Rüpel, aber wenn ich mit der Bahn fahre, will ich keine Bekanntschaften machen. Ich hab schon genug davon zu Hause.
Da sagte der Herr mit Bart zu ihm: »Wie viele Zeitungen Sie lesen, und von allen politischen Richtungen! Sie müssen ein Richter sein oder ein Politiker.« Belbo sagte nein, er ar-662
beite in einem Verlag, der Bücher über arabische Metaphysik publiziere. Er sagte das, um den Gegner einzuschüchtern. Der Gegner war sichtlich eingeschüchtert.
Dann kam der Schaffner. Er fragte Belbo, wieso er eine Fahrkarte nach Bologna habe, aber eine Platzkarte bis Rom.
Belbo antwortete, er hätte sich’s im letzten Moment anders überlegt. »Wie schön«, meinte der bärtige Herr, »wenn man seine Entscheidungen so nach Lust und Laune treffen kann, ohne in die Brieftasche sehen zu müssen. Ich beneide Sie.«
Belbo hatte gelächelt und sich zur anderen Seite gedreht.
Klar, sagte er sich, jetzt denken alle, ich wäre ein Verschwender oder hätte eine Bank ausgeraubt.
In Bologna war Belbo aufgestanden und wollte gerade aussteigen, da sagte sein Nachbar: »He, Sie haben Ihren Koffer vergessen.«
»Nein, den kommt ein Herr in Florenz abholen«, hatte Belbo gesagt. »Vielleicht können Sie so gut sein und ihn ein bißchen im Auge behalten.«
»Ich pass’ schon auf«, hatte der Herr mit Bart gesagt. »Verlassen Sie sich auf mich.«
Gegen Abend war Belbo nach Mailand zurückgekommen, hatte sich zu Hause mit zwei Dosen Corned beef und ein paar Crackers hingesetzt und das Fernsehen angeschaltet.
Noch einmal Berlinguer, natürlich. So war die Meldung fast nebenbei am Ende gekommen.
Am späten Vormittag, im TEE auf der Strecke Bologna-Florenz, in Wagen 8, hatte ein Passagier mit Bart einen Verdacht über einen Reisenden geäußert, der in Bologna ausgestiegen war, aber einen Koffer im Gepäcknetz zurückgelassen hatte. Er habe zwar gesagt, jemand würde den Koffer in Florenz abholen, aber ob das nicht die Art und Weise sei, wie die Terroristen vorgingen? Und dann, wieso hatte er den Platz bis Rom reserviert, wo er
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