Das Foucaultsche Pendel
Pilade!«
»He, das ist meine Runde.«
»Wir teilen’s dann nachher. Der Kreter Epimenides sagt, alle Kreter sind Lügner. Wenn er das sagt, er, der ein Kreter ist und die Kreter kennt, muß es wahr sein.«
»Das ist dumm.«
»Das ist Paulus. Brief an Titus. Jetzt diesen: Alle, die denken, daß Epimenides ein Lügner ist, können sich nur auf die Kreter verlassen, aber die Kreter verlassen sich nicht auf die Kreter, weshalb kein Kreter denkt, daß Epimenides ein Lügner ist.«
»Das ist dumm, oder?«
»Urteilen Sie selbst. Ich hab’s Ihnen ja gesagt — es ist schwierig, den Dummen zu erkennen. Ein Dummer kann auch den Nobelpreis kriegen.«
»Lassen Sie mich mal nachdenken... Einige von denen, die nicht glauben, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, sind keine Fundamentalisten, aber einige Fundamentalisten glauben, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat — also ist keiner, der nicht glaubt, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, ein Fundamentalist. Ist das jetzt dumm oder nicht?«
»Mein Gott, schwer zu sagen... Ich weiß nicht. Was meinen Sie?«
»Es ist in jedem Fall dumm, auch wenn es wahr wäre. Es verletzt eine Regel des Syllogismus: Man kann keine allgemeinen Schlüsse aus zwei besonderen Fällen ableiten.«
»Und wenn Sie nun der Dumme wären?«
»Dann wäre ich in guter und säkularer Gesellschaft.«
»Da haben Sie recht, die Dummheit umgibt uns. Und vielleicht ist unsere Dummheit in einer anderen Logik als der unseren ihre Weisheit. Die ganze Geschichte der Logik besteht in der Definition eines akzeptablen Begriffs der Dummheit. Nichts zu machen, sie ist zu immens. Jeder große Denker ist eines anderen Dummer.«
»Das Denken als die kohärente Form der Dummheit.«
»Nein, die Dummheit eines Denkens ist die Inkohärenz eines anderen Denkens.«
»Tiefer Gedanke. Schon zwei, gleich macht Pilade zu, und 78
wir sind noch nicht bei den Irren.«
»Bin schon da. Den Irren erkennt man sofort. Er ist ein Dummer, der sich nicht verstellen kann. Der Dumme versucht seine These zu beweisen, er hat eine schräge Logik, aber er hat eine. Der Irre dagegen kümmert sich nicht um Logik, er operiert mit Kurzschlüssen. Alles beweist für ihn alles. Der Irre hat eine fixe Idee und sieht sie durch alles, was er findet, bestätigt. Den Irren erkennt man an der Freiheit, die er sich gegenüber der Beweispflicht nimmt, an der Bereitschaft, überall Erleuchtungen zu finden. Und es mag Ihnen komisch vorkommen, aber der Irre zieht früher oder später immer die Templer aus dem Hut.«
»Immer?«
»Es gibt auch Irre ohne Templer, aber die mit Templern sind die gefährlichsten. Man erkennt sie nicht gleich, es scheint erst, als redeten sie ganz normal, dann aber, plötzlich...« Er machte Anstalten, noch einen Whisky zu bestellen, überlegte sich’s aber dann anders und bat um die Rechnung. »Apropos Templer, vorgestern kam ein Typ zu mir und hat mir ein Manuskript zum Thema gebracht. Ich glaube wirklich, er ist ein Irrer, aber mit menschlichem Antlitz.
Das Manuskript fängt ganz harmlos an. Wollen sie mal einen Blick reinwerfen?«
»Gern. Vielleicht finde ich da irgendwas drin, was mir nützt.«
»Glaube ich kaum. Aber wenn Sie mal eine halbe Stunde Zeit haben, kommen Sie doch auf einen Sprung rüber. Via Sincero Renata eins. Wird mir mehr nützen als Ihnen. Sagen Sie mir gleich, ob Ihnen die Arbeit seriös vorkommt.«
»Wieso vertrauen Sie mir?«
»Wer sagt, daß ich Ihnen vertraue? Aber wenn Sie kommen, vertraue ich Ihnen. Ich vertraue der Neugier.«
Ein Student kam hereingestürmt mit verzerrtem Gesicht:
»Genossen! Draußen sind die Faschisten im Anmarsch. Mit Fahrradketten!«
»Ich hau sie in Klump«, schrie der Typ mit Tatarenschnauzer, der mich wegen Lenin bedroht hatte.
»Los, Genossen!« Alle rannten hinaus.
»Was ist? Gehen wir nicht mit?« fragte ich schuldbewußt.
»Nein«, sagte Belbo. »Das sind Gerüchte, die Pilade in Umlauf setzt, um das Lokal leer zu kriegen. Für den ersten 79
Abend, seit ich nicht mehr trinke, fühl ich mich ganz schön bedudelt. Müssen die Entzugserscheinungen sein. Alles, was ich Ihnen gesagt habe, bis zu diesem Moment inklusive, ist falsch. Gute Nacht, Casaubon.«
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Seine Unfruchtbarkeit war unendlich: sie hatte
teil an der Ekstase.
E. M. Cioran, Le mauvais démiurge, Paris, Gallimard, 1969
(»Erwürgte Gedanken«)
Das Gespräch bei Pilade hatte mir Belbos Außenseite gezeigt. Ein guter Beobachter hätte den
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