Das Foucaultsche Pendel
melancholischen Charakter seines Sarkasmus wahrnehmen können. Ich kann nicht behaupten, er sei eine Maske gewesen. Maske waren vielleicht die Vertraulichkeiten, zu denen er sich im geheimen hinreißen ließ. Sein öffentlich vorgezeigter Sarkasmus enthüllte im Grunde seine wahrste Melancholie, die er im geheimen vor sich selbst zu verbergen suchte, indem er sie mit einer manierierten Melancholie maskierte.
Ich lese diesen Text wieder, den ich unter seinen files gefunden habe, und sehe nun, daß er darin im Grunde das, was er mir am nächsten Tag bei Garamond über seinen Beruf sagen sollte, romanhaft auszuspinnen versuchte. Alles finde ich darin wieder: seine Akribie, seine Leidenschaft, die Enttäuschung des Lektors, der durch Mittelspersonen schreibt, die Sehnsucht nach einer Kreativität, die er nie verwirkli-chen konnte, die moralische Strenge, die ihn zwang, sich selbst zu bestrafen, weil er etwas begehrte, worauf er kein Recht zu haben meinte, indem er von seinem Begehren ein pathetisches Kitschgemälde entwarf. Nie zuvor bin ich einem begegnet, der sich selber mit solcher Verachtung bemit-leiden konnte.
Filename: Surabaya-Jim
Morgen Gespräch mit dem jungen Cinti.
1. Schöne Monographie, streng geschrieben, vielleicht ein biß-
chen zu akademisch.
2. Am genialsten im Schlußkapitel der Vergleich zwischen Ca-tull, den poetae novi und den modernen Avantgarden.
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3. Warum nicht als Einleitung?
4. Muß ihn dazu überreden. Er wird sagen, solche haltlosen Spekulationen gehörten sich nicht für eine philologische Reihe. Er muß auf seinen Lehrer Rücksicht nehmen, sonst bekommt er von ihm kein Vorwort und riskiert seine Karriere. Eine brillante Idee auf den letzten zwei Seiten geht unbemerkt durch, am Anfang springt sie zu sehr ins Auge und kann die Päpste der Zunft irritieren.
5. Aber man braucht sie nur kursiv zu setzen, in Form einer lockeren Vorrede außerhalb der eigentlichen Untersuchung, dann bleibt die Hypothese bloß eine Hypothese, ohne die Seriosität der Arbeit zu kompromittieren. Die Leser jedoch sind sofort gefesselt, sie lesen das Buch unter einem anderen Blickwinkel.
Aber dränge ich ihn damit wirklich zu einem Akt der Befreiung, oder benutze ich ihn bloß, um mein eigenes Buch zu schreiben?
Mit zwei Worten ganze Bücher verändern. Demiurg am Werk anderer sein. Statt weichen Ton zu kneten, kleine Schläge auf den hart gewordenen Ton, aus dem ein anderer schon seine Statue geformt hat. Moses den richtigen Schlag mit dem Hammer versetzen, und er wird sprechen.
Gespräch mit William S.
Ich habe Ihre Arbeit gelesen, nicht schlecht. Das Stück hat Spannung, Phantasie, Dramatik. Ist es Ihr erster Schreibversuch?
Nein, ich habe schon eine andre Tragödie geschrieben, die Geschichte zweier Liebender in Verona, die...
Gut, aber sprechen wir jetzt von dieser Arbeit, Herr S. Ich frage mich, warum Sie die Geschichte in Frankreich spielen lassen.
Wieso nicht in Dänemark? Ich meine ja nur, das würde doch nicht viel Arbeit machen, es genügt, ein paar Namen zu ändern, aus dem Château de Châlons-sur-Marne wird, sagen wir, das Schloß Helsingör... Ich finde, in einem nordischen, protestantischen Klima, wo der Geist Kierkegaards umgeht, würden all diese existenti-ellen Fragen...
Nun ja, vielleicht haben Sie recht.
Ja, ich glaube wirklich. Und dann brauchte Ihr Stück noch ein paar dramatische Straffungen, nur da und dort noch eine Retu-sche, wie wenn der Friseur die letzten Härchen im Nacken stutzt, bevor er Ihnen den Spiegel hinhält... Zum Beispiel der Geist des Vaters. Wieso erst am Ende? Ich würde ihn gleich am Anfang auftreten lassen. So daß die Mahnung des Vaters sofort das ganze Verhalten des jungen Prinzen bestimmt und ihn in Konflikt mit der 82
Mutter bringt.
Keine schlechte Idee, ich brauchte bloß eine Szene zu ver-schieben.
Genau. Und schließlich der Stil. Greifen wir eine beliebige Stelle heraus, hier, diese zum Beispiel, wo der junge Prinz an die Rampe tritt und mit seiner Meditation über Aktivität und Passivität beginnt. Die Stelle ist wirklich schön, aber mir fehlt noch die rechte Spannung, das geht noch zu wenig unter die Haut: »Handeln oder nicht handeln? Das ist hier meine angstvolle Frage! Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden oder...« Wieso meine angstvolle Frage? Ich wür-de ihn sagen lassen, das ist hier die Frage, dies ist das Problem, verstehen Sie, nicht sein individuelles Problem,
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