Das Foucaultsche Pendel
sondern die Grundfrage des Daseins überhaupt. Die Alternative ist eher, um es mal so zu sagen, die zwischen Sein und Nichtsein...
Die Welt bevölkern mit Kindern, die unter anderen Namen leben, und niemand weiß, daß sie deine sind. Als wäre man Gott in Zivil.
Du bist Gott, du gehst durch die Stadt, hörst die Leute von dir reden, Gott hier und Gott da, und was für ein wunderbares Universum, und wie elegant die universale Schwerkraft, und du lä-
chelst in deinen Bart (du mußt dir einen Bart ankleben, um unter die Leute zu gehen, oder nein, keinen Bart, am Bart erkennen sie dich sofort), und du sagst zu dir selbst (der Solipsismus Gottes ist dramatisch): »Ha, all das habe ich geschaffen, und sie wissen es nicht.« Und jemand rempelt dich auf der Straße an, beschimpft dich womöglich, und du sagst demütig Entschuldigung und gehst weiter, dabei bist du Gott, und wenn du wolltest, brauchtest du bloß mit dem Finger zu schnipsen, und die Welt wäre Asche. Aber du bist so unendlich allmächtig, daß du dir erlauben kannst, gütig zu sein.
Einen Roman zu schreiben über Gott, der inkognito durch seine Schöpfung spaziert... Vergiß es, Belbo, wenn dir die Idee gekommen ist, ist sie bestimmt auch schon einem andern gekommen.
Variante. Du bist ein Autor, du weißt noch nicht, ein wie großer, die Frau, die du liebtest, hat dich verraten, das Leben hat für dich keinen Sinn mehr. Um zu vergessen, machst du eine Reise auf der Titanic und erleidest Schiffbruch in der Südsee, du rettest dich (als einziger Überlebender) auf einem Eingeborenenboot und ver-bringst lange Jahre auf einer einsamen, nur von Papuas bewohn-83
ten Insel, umhegt von Mädchen, die dir schmachtende Lieder singen, wobei sie ihre nur mit Blütenkränzen bedeckten Brüste wippen lassen. Du gewöhnst dich daran, sie nennen dich Jim, wie sies mit allen Weißen tun, eines Abends kommt ein Mädchen mit bernsteinfarbener Haut in deine Hütte und sagt: »Ich deine, ich mit dir.« Ja, es ist schön, am Abend auf der Veranda zu liegen und das Kreuz des Südens zu betrachten, während sie dir die Stirne streichelt.
Du lebst im Rhythmus der auf- und untergehenden Sonne und kennst nichts anderes mehr. Eines Tages kommt ein Motorboot mit Holländern, du erfährst, daß zehn Jahre vergangen sind, du könntest mit ihnen davonfahren, aber zu zögerst, du tauschst lieber Kokosnüsse gegen Waren und versprichst, dich um die Hanfernte zu kümmern, die Eingeborenen schuften für dich, du fängst an, von Insel zu Insel zu fahren, bald nennt man dich überall Surabaya-Jim. Ein vom Suff ruinierter portugiesischer Abenteurer kommt, um mit dir zu arbeiten, und du erlöst ihn vom Alkohol, alle Weit spricht inzwischen von dir in jenen Südseegewässern, du berätst den Maharadscha von Brunei bei einer Kampagne gegen die Flußpiraten, bringst eine verrostete alte Kanone aus den Zeiten von Tippo Sahib wieder in Schuß, stellst eine Truppe treu ergebener Malaien auf und trainierst sie, brave Kerle mit betelgeschwärzten Zähnen... In einem Gefecht am Korallenplateau (oder wars am Susquehanna?) deckt dich der alte Sampan, die Zähne betelgeschwärzt (oder wars der alte Lederstrumpf?), mit seinem eigenen Leib. »Oh, Surabaya-Jim, ich bin glücklich, für dich zu sterben.« »Oh, mein guter alter Freund Sampanstrumpf!«
Dein Ruhm verbreitet sich durch den ganzen Archipel, von Surabaya bis Port-au-Prince, du verhandelst mit den Engländern, in der Hafenkommandantur von Darwin bist du als Kurtz registriert, du bist nun für alle Welt Kurtz, Surabaya-Jim für die Eingeborenen.
Doch eines Abends, während das Mädchen dich auf der Veranda streichelt und das Kreuz des Südens am Himmel erglänzt wie noch nie, aber ach, so ganz anders als der Große Bär, da begreifst du: es zieht dich zurück in die Heimat. Du würdest sie gerne wiedersehen, nur kurz, nur um zu sehen, was dort von dir geblieben ist.
Du nimmst das Motorboot und fährst nach Manila, von dort bringt dich ein Propellerflugzeug nach Bali. Dann weiter über Samoa, die Admiralsinseln, Singapur, Tananarivo, Timbuktu, Alep-po, Samarkand, Basra, Malta, und schon bist du zu Hause.
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Achtzehn Jahre sind vergangen, das Leben hat dich gezeichnet, dein Gesicht ist braungegerbt von den Passatwinden, du bist älter geworden, schöner vielleicht. Und kaum bist du angekommen, entdeckst du, daß die Buchläden deine Bücher anpreisen, dein ganzes Werk, in kritischen Neuausgaben, dein Name prangt über dem Tor der alten
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