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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Schule, in der du lesen und schreiben gelernt hast. Du bist der Große Verschollene Dichter, das Gewissen der Generation. Romantische Mädchen begehen Selbstmord an deinem leeren Grab.
    Und dann begegne ich dir, Geliebte, was hast du so viele Run-zeln um deine Augen, wie tief zerfurcht vom Schmerz der Erinnerung und von Gewissensbissen ist dein immer noch schönes Gesicht. Fast hätte ich dich gestreift auf dem Trottoir, ich stehe zwei Schritte vor dir, und du hast mich angesehen wie irgendeinen, als suchtest du hinter mir nach einem andern. Ich könnte dich ansprechen, könnte die Zeit auslöschen. Aber wozu? Habe ich nicht schon gehabt, was ich wollte? Ich bin Gott, ich habe dieselbe Einsamkeit, dieselbe Ruhmsucht, dieselbe Verzweiflung, nicht eines meiner Geschöpfe zu sein wie all die andern. Alle leben sie in meinem Licht, nur ich muß im unerträglichen Glanz meiner Finsternis leben.
    Geh nur, geh hinaus in die Welt, William S. Du bist berühmt, und wenn du an mir vorbeikommst, erkennst du mich nicht. Ich mur-mele vor mich hin »Sein oder Nichtsein« und sage mir: »Bravo, gut gemacht, Belbo!« Geh, alter William S. hol dir deinen Anteil am Ruhm: du hast nur geschaffen, ich aber habe dich perfektioniert!
    Wir, die den Geburten anderer ans Licht verhelfen, wir dürften eigentlich, ganz wie die Schauspieler, nicht in geweihter Erde begraben werden. Aber die Schauspieler täuschen nur vor, daß die Welt anders sei, als sie ist, wir dagegen fingieren die Vielzahl der möglichen Welten...
    Wie kann das Leben so großzügig sein, eine derart sublime Kompensation für das Mittelmaß zu gewähren?
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    Sub umbra alarum tuarum, Jehova. *
    Fama Fraternitatis, in Allgemeine und General Reformation, Kassel, Wessel, 1614, Ende
    Am nächsten Tag ging ich zu Garamond. Die Nummer l der Via Sincero Renata führte in einen staubigen Durchgang, an dessen Ende ein Hof mit einer Seilerwerkstatt zu sehen war. Im Treppenhaus rechts befand sich ein Fahrstuhl, der in einer Ausstellung für Industrie-Archäologie hätte stehen können, und als ich ihn zu nehmen versuchte, gab er nur ein verdächtiges Knarren von sich, ohne sich in Bewegung zu setzen. Ich beschloß, lieber zu Fuß zu gehen, und stieg zwei Absätze einer steilen, hölzernen, ziemlich staubigen Treppe hinauf. Wie ich später erfuhr, liebte Signor Garamond diesen Ort, weil er ihn an ein altes Pariser Verlagshaus erinnerte. Im ersten Stock verkündete ein Schild »Garamond Editori, s.p.a.«, und eine offene Tür führte in einen Empfangs-raum ohne Telefonzentrale, Pförtnerloge oder dergleichen.
    Aber man konnte nicht eintreten, ohne von einem kleinen Nebenraum aus gesehen zu werden, aus welchem denn auch sofort eine Person vermutlich weiblichen Geschlechts, unbestimmten Alters und von einer Statur, die man euphemi-stisch als unter dem Durchschnitt bezeichnet hätte, auf mich zugeschossen kam.
    Die Person überfiel mich in einer Sprache, die ich schon irgendwo einmal gehört zu haben meinte, bis ich begriff, daß es ein fast ganz der Vokale beraubtes Italienisch war. Ich sagte, ich wolle zu Belbo. Sie hieß mich ein paar Sekunden warten, dann führte sie mich durch den Flur in ein Büro am hinteren Ende.
    Belbo empfing mich sehr freundlich: »Na, dann sind Sie ja doch ein ernsthafter Mensch! Treten Sie ein.« Er placierte mich in einen Sessel vor seinem Schreibtisch, der alt wie
    * Unter dem Schatten deiner Flügel, Jehova (Psalm 57,2) 86
    alles übrige war, überladen mit Manuskripten wie die Regale ringsum an den Wänden.
    »Ich hoffe, Gudrun hat Sie nicht erschreckt«, sagte er.
    »Gudrun? Diese... Signora?«
    »Signorina. Sie heißt nicht Gudrun. Wir nennen sie bloß so wegen ihres nibelungischen Äußeren und weil sie irgendwie so teutonisch spricht. Sie will immer alles auf einmal sagen und spart sich die Vokale. Aber sie hat Sinn für ausgleichen-de Gerechtigkeit: beim Tippen spart sie sich die Konsonanten.«
    »Was macht sie hier?«
    »Alles, leider. Sehen Sie, in jedem Verlag gibt es eine Person, die unersetzlich ist, weil sie als einzige wiederzufinden vermag, was in dem Chaos verlorengeht, das sie anrichtet.
    Beziehungsweise weil man, wenn ein Manuskript verlorengeht, dann wenigstens weiß, wer schuld ist.«
    »Verliert sie auch Manuskripte?«
    »Nicht mehr als andere. In einem Verlag verlieren alle andauernd Manuskripte. Ich glaube, der Name Verlag kommt genau in diesem Sinn von ›verlegen‹, das Manuskripte-Verlegen ist die Hauptbeschäftigung. Aber man

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