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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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über Jeans, die durch alle Winde und Wetter gegangen waren; auch die langen Schlagstöcke, die sie in der Hand trugen, getarnt als zusammengerollte Fahnen, erschienen wie Elemente einer Palette, ich dachte unwillkürlich an Dufy und seine heiteren Farben. Von Dufy kam ich per Assoziation auf Guillaume Dufay. Ich hatte den Eindruck, in einer alten Miniatur zu leben, unter den Neu-gierigen am Straßenrand glaubte ich ein paar Damen zu sehen, androgyne Gestalten, die auf das große Fest der Kühnheit warteten, das ihnen verheißen war... All dies schoß mir blitzartig durch den Sinn, ich hatte irgendwie ein Gefühl von deja vu, als erblickte ich etwas Altbekanntes, nur wußte ich nicht, was es war.
    »Ist das nicht die Einnahme von Askalon?« fragte Belbo.
    »Bei Gott und Messire Saint-Jacques!« rief ich aus. »Sie haben recht, es ist wirklich das Kreuzfahrerheer! Ich bin sicher, daß einige von diesen heute abend im Paradies sein werden!«
    »Ja«, sagte Belbo, »die Frage ist nur, auf welcher Seite die Sarazenen sind.«
    »Die Polizei ist teutonisch«, stellte ich fest, »so teutonisch, daß wir die Horden von Alexander Newski sein könnten, aber vielleicht bringe ich meine Texte durcheinander. Sehen Sie dort die Gruppe, das müssen die Mannen des Grafen Artois sein, sie beben vor Kampfeslust, denn unerträglich ist ihnen die Schmach, schon gehen sie mit Drohgebrüll auf die Feinde los.«
    In diesem Moment passierte der Zwischenfall. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, der Zug hatte sich voran-bewegt, eine Gruppe von Aktivisten mit Fahrradketten und Gesichtsmützen hatte angefangen, die Front der Polizei einzudrücken, um zur Piazza San Babila durchzubrechen, ag-gressive Sprechchöre brüllend. Der Löwe regte sich, und diesmal mit einer gewissen Entschiedenheit Die vordere Reihe der Front tat sich auf, und es erschienen die Wasserwer-fer. Aus den Vorposten des Zuges flogen die ersten Steine, die ersten Stahlkugeln schwirrten, ein Trupp Polizisten stürmte brutal prügelnd in die Menge, und der Zug begann 129
    zu wanken. In diesem Moment ertönte von weitem, hinten aus der Via Laghetto, ein Schuß. Vielleicht war’s nur ein geplatzter Reifen, vielleicht ein Knallfrosch, vielleicht war’s ein echter Pistolenschuß, abgefeuert von einem jener »Auto-nomen«, die ein paar Jahre später regelmäßig die P38 benutzen sollten.
    Panik brach aus. Die Polizei blies zum Angriff, die Demon-stranten teilen sich in die Kämpfer, die den Waffengang annahmen, und die anderen, die ihre Aufgabe für beendet ansahen. Ich fand mich unter letzteren, rannte Hals über Kopf die Via Larga hinunter in der panischen Angst, von irgendeinem Schlägertrupp gefaßt zu werden, in wessen Auftrag auch immer. Plötzlich sah ich neben mir Belbo mit seiner Gefährtin. Sie liefen schnell, aber ohne Panik.
    An der Ecke der Via Rastrelli packte mich Belbo am Arm und rief. »Hier lang, junger Mann!« Ich wollte ihn fragen, warum, die Via larga schien mir bequemer und belebter, und als wir in das Labyrinth der Gäßchen zwischen der Via Peco-rari und dem Erzbischöflichen Ordinariat eindrangen, packte mich die Klaustrophobie. Mir schien, daß es dort, wo Belbo mich hinführte, viel schwieriger sein würde, mich zu tarnen, falls irgendwo Polizisten auftauchen sollten. Doch er bedeutete mir zu schweigen, bog um zwei, drei Ecken, immer langsamer laufend, und so gelangten wir schließlich in ruhiger Gangart, ohne zu rennen, an die Rückseite des Doms, wo der Verkehr normal war und keine Echos der Schlacht hindrangen, die kaum zweihundert Meter entfernt von uns tobte. Wir gingen schweigend um den Dom und erreichten die Vorderfront auf der Seite der Galleria. Belbo kaufte ein Säckchen Körner und begann in seraphischer Ruhe die Tauben zu füttern. Wir waren vollständig untergetaucht in der samstäglichen Menge, Belbo und ich in Jackett und Krawatte, seine Begleiterin in der Uniform der gepflegten Mailänderin, grauer Rollkragenpullover mit Perlenkette, ob echt oder nicht. Belbo stellte sie mir vor: »Das ist Sandra, kennt ihr euch?«
    »Vom Sehen. Hallo.«
    »Schauen Sie, Casaubon«, erklärte er mir dann, »wenn man fliehen muß, läuft man nie in gerader Linie davon. Nach dem Beispiel der Savoyer in Turin hat Napoleon III. das alte Paris ›entkernt‹ und mit einem Netz von Boulevards überzo-130
    gen, das alle seither als ein Meisterwerk an urbanistischer Weitsicht bewundern. Aber die geraden Straßen dienen zur besseren Kontrolle der

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