Das Foucaultsche Pendel
Dann kam er nach Hause zu-rück und setzte sich, wie es scheint, mit dem Abt von Cîteaux in Verbindung, dem er half, in seinem Kloster die Lektüre und die Übersetzung bestimmter hebräischer Texte zu initiieren. Denken Sie nur, die Rabbiner aus der Haute Bourgo-gne werden nach Cîteaux eingeladen, zu den weißen Benediktinern, und von wem? Vom heiligen Bernhard, zum Studium wer weiß welcher Texte, die Hugo in Palästina gefunden hat. Und Hugo offeriert den Mönchen Bernhards 147
einen Wald bei Bar-sur-Aube, wo dann Clairvaux entstehen wird. Und was macht Bernhard?«
»Er wird zum Cheftheoretiker der Templer«, sagte ich.
»Er unterstützt sie, jawohl. Und warum? Wissen Sie, daß er die Templer mächtiger als die Benediktiner werden läßt?
Daß er den Benediktinern verbietet, Ländereien und Häuser als Geschenk anzunehmen, und dann die Ländereien und Häuser den Templern geben läßt? Haben Sie je den Fôret d’Orient bei Troyes gesehen? Ein riesiges Waldgebiet mit einer Burg nach der andern. Und derweilen kämpfen die Ritter in Palästina gar nicht mehr, wissen Sie das auch? Sie installieren sich im Tempel zu Jerusalem, und statt die Muselmänner zu töten, schließen sie mit ihnen Freundschaft.
Sie nehmen Kontakt zu ihren Eingeweihten auf. Kurz gesagt, Bernhard von Clairvaux, finanziell unterstützt vom Grafen der Champagne, gründet einen Orden, der sich im Heiligen Land mit den arabischen und jüdischen Geheimsekten in Verbindung setzt. Eine unbekannte Führung plant die Kreuzzüge, um den Orden gedeihen zu lassen, nicht umgekehrt, und sie stellt ein Machtgefüge dar, das sich der königlichen Jurisdiktion entzieht... Eh bien, ich bin kein Mann der Wissenschaft, ich bin ein Mann der Tat. Statt lange Vermutungen anzustellen, tat ich, was all die wortreichen Gelehrten nie getan haben. Ich bin dorthin gegangen, woher die Templer kamen und wo sie zweihundert Jahre lang ihre Basis hatten, wo sie sich bewegen konnten wie die Fische im Wasser...«
»Der Große Vorsitzende Mao lehrt, daß die Revolutionäre sich im Volk bewegen müssen wie die Fische im Wasser«, sagte ich.
»Bravo Ihrem Großen Vorsitzenden. Die Templer, die eine weit größere Revolution planten als Ihre bezopften Kommu-nisten...«
»Sie tragen keine Zöpfe mehr.«
»Nein? Um so schlimmer für sie. Die Templer, sagte ich, konnten nicht anders als Zuflucht in der Champagne suchen. Aber wo dort? In Payns? In Troyes? Im Wald von Orient? Nein. Payns war und ist ein kleines Nest, und damals war es bestenfalls eine Burg. Troyes war eine Stadt, da gab es zu viele Leute des Königs. Der Wald, templerisch per Definition, war der erste Ort, wo die Garden des Königs 148
nach ihnen suchen würden, wie sie es dann ja auch taten.
Nein: Provins, sagte ich mir. Wenn es einen sicheren Ort gab, dann war es Provins!«
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Könnten wir mit dem Auge ins Innere der Erde
eindringen und von Pol zu Pol sehen, oder von
unseren Füßen bis zu den Antipoden, wir wür-
den mit Schrecken eine über und über von Rissen und Höhlen durchlöcherte Masse erblicken.«
Thomas Burnet, Telluris Theoria Sacra, Amsterdam, Wolters, 1694, p. 38
»Wieso Provins?«
»Nie in Provins gewesen? Magischer Ort, man spürt es noch heute, gehen Sie mal hin. Magischer Ort, noch immer ganz von Geheimnis durchweht. Im elften Jahrhundert ist er der Sitz des Grafen der Champagne, und er bleibt noch lange ein freies Gebiet, in dem die Zentralmacht nichts zu melden hat. Die Templer sind dort zu Hause, noch heute heißt eine Straße nach ihnen. Kirchen, Paläste, eine Burg, die das ganze Umland beherrscht. Und Geld, Händler, Märkte, ein Gewimmel, in dem man leicht untertauchen kann. Aber vor allem, seit prähistorischen Zeiten, Höhlen. Ein Netz von Höhlen und Gängen, das sich unter dem ganzen Hügel hinzieht, regelrechte Katakomben, einige davon können Sie noch heute besichtigen. Orte, in denen man sich ungesehen treffen kann, und selbst wenn die Feinde eindringen, können sich die Verschwörer in wenigen Sekunden zerstreuen, Gott weiß wohin, und wenn sie die Gänge gut kennen, sind sie schon irgendwo raus und auf der anderen Seite wieder rein, auf lautlosen Katzenpfoten, und fallen von hinten über die Invasoren her, um sie im Dunkeln niederzumachen. Bei Gott, ich versichere Ihnen, meine Herren, diese Höhlen scheinen wie gemacht für Kommandounternehmen, zack zack, schnell wie der Blitz hineingeschlüpft, das Messer zwischen den Zähnen, in jeder Hand eine Bombe, und die
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