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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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auch Nadeln hineinstechen, um zu horchen, ob sie nicht auf Fremdkörper stoßen...«
    Ich begriff, daß der Oberst nicht nur auf Schlachtfeldern Dienst getan hatte.
    »Blieben die Bücher, auf jeden Fall war es gut, mir die Titel zu notieren und nachzusehen, ob nicht irgendwo Randnoti-zen waren, Unterstreichungen, irgendein Hinweis... Schließ-
    lich zog ich einen schweren alten Band etwas ungeschickt aus dem Regal, er fiel zu Boden, und heraus flatterte ein handgeschriebenes Blatt. Das Papier und die Tinte sahen nicht sehr alt aus, es konnte gut in Ingolfs letzten Lebensjah-ren geschrieben sein. Rasch überflog ich es, gerade lange genug, um am oberen Rand zu lesen: ›Provins 1894.‹ Sie können sich meine Erregung vorstellen, die Flut von Gefühlen, die mich bestürmten... Mir wurde klar, daß Ingolf mit dem originalen Pergament nach Paris gefahren war und dies die Kopie sein mußte. Ich zögerte nicht. Das Fräulein Ingolf hatte die Bücher ihres Vaters jahrelang abgestaubt, ohne je 156
    dieses Blatt zu bemerken, andernfalls hätte sie mir davon erzählt Eh bien, sie würde auch weiterhin nichts davon wissen. Die Welt teilt sich in Sieger und Besiegte. Ich hatte meinen Anteil an Niederlagen reichlich gehabt, jetzt mußte ich den Sieg beim Schöpfe ergreifen. Ich steckte das Papier in die Tasche. Der Alten sagte ich zum Abschied, ich hätte leider nichts Interessantes gefunden, hätte aber ihren Herrn Vater gerne zitiert, wenn er etwas geschrieben hätte, und sie segnete mich. Meine Herren, ein Mann der Tat, durchglüht von einer Passion wie der meinen, darf sich nicht allzuviel Skrupel machen angesichts der Misere eines ohnehin vom Schicksal geschlagenen Wesens.«
    »Rechtfertigen Sie sich nicht«, sagte Belbo. »Sie haben es getan. Jetzt reden Sie.«
    »Jetzt zeige ich Ihnen den Text. Sie werden mir gestatten, Ihnen eine Fotokopie vorzulegen. Nicht aus Mißtrauen. Nur um das Original nicht der Abnutzung auszusetzen.«
    »Aber es war doch nicht das Original«, sagte ich. »Es war doch Ingolfs Kopie eines angeblichen Originals.«
    »Junger Mann, wenn das Original nicht mehr existiert, ist die letzte Kopie das Original.«
    »Aber Ingolf könnte doch falsch abgeschrieben haben.«
    »Sie wissen nicht, ob es so ist. Ich aber weiß, daß Ingolfs Abschrift die Wahrheit sagt, denn ich sehe nicht, wie die Wahrheit anders sein könnte. Ergo ist Ingolfs Kopie das Original. Sind wir uns darüber einig, oder wollen wir hier intellektuelle Spielchen anfangen?«
    »Die hasse ich«, sagte Belbo. »Also zeigen Sie uns Ihre originale Kopie.«
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    Seit Beaujeu hat der Orden nie einen Augenblick aufgehört zu bestehen, und seit Aumont kennen
    wir eine ununterbrochene Folge der Großmeister
    des Ordens bis auf unsere Tage, und wenn der
    Name und die Residenz ebenso wie der Rang des
    wahren Großmeisters und der wahren Oberen,
    die den Orden regieren und die erhabenen Wer-
    ke leiten, heute ein Geheimnis ist, welches, nur den wahrhaft Erleuchteten bekannt, in undurch-dringlichem Dunkel bewahrt wird, so weil die
    Stunde des Ordens noch nicht gekommen und
    die Zeit noch nicht erfüllt ist...
    Handschrift um 1760, in G. A. Schiffmann, Die Entstehung der Rittergrade in der Freimaurerei um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Leipzig, Zechel, 1882, p. 178-190
    Es war unser erster Kontakt mit dem Plan. An jenem Tag vor über zwölf Jahren hätte ich auch woanders sein können.
    Wäre ich an jenem Tag damals nicht in Belbos Büro gewesen, dann wäre ich jetzt... Ja was? Sesamsamenverkäufer in Samarkand? Herausgeber einer Taschenbuchreihe in Blindenschrift? Direktor der First National Bank in Franz-Joseph-Land? Die sogenannten »kontrafaktischen« Konditionalsät-ze sind immer wahr, weil die Prämisse falsch ist. Doch an jenem Tag war ich in Belbos Büro, und deswegen bin ich nun da, wo ich bin.
    Mit theatralischer Geste hatte der Oberst uns das Blatt prä-
    sentiert. Ich habe es noch hier zwischen meinen Papieren, in einer Klarsichtfolie, noch grauer und verblaßter, als es schon damals war, bei dem schlechten Xeroxpapier jener Jahre. In Wirklichkeit waren es zwei Texte, ein dicht gedrängter, der die obere Hälfte der Seite bedeckte, und ein lückenhafter in verstümmelten Zeilen.
    Der erste Text war eine Art dämonischer Litanei, wie eine Parodie auf altsemitische Sprachen:
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    Kuabris Defrabax Rexulon Ukkazaal Ukzaab Urpaefel Taculbain Habrak Hacoruin Maquafel Tebrain Hmcatuin Rokasor Himesor Argmbil,Kaquaan Docrabax Reisaz Reisabrax

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