Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
er. »Böser Junge. Schlimm, nicht wahr?« Er sah verträumt zur Decke hoch. »Dann musste die Frau in Ingolstadt dran glauben. Mann, das war vielleicht ein zäher alter Brocken.«
»Das war meine Tante, Sie Schwein!«, schrie Adrian ihn an und wollte abermals auf ihn losgehen. Doch Laurie richtete sofort die Glock auf ihn, und Talbot hielt Adrian am Arm zurück.
»Dass sie tot ist, ist allein deine Schuld«, sagte Laurie kalt. »Dafür kann ich nichts. Woher sollte ich denn wissen, dass sie von nichts eine Ahnung hatte, weil du den Koffer ersteigert hast?«
»Ich bringe Sie um!« Verzweifelt versuchte Adrian, sich aus Talbots eisernem Griff loszureißen und Laurie an die Kehle zu springen. Eine heiße Woge aus Wut und Verzweiflung schlug über ihm zusammen. »Das schwöre ich! Ich bringe Sie um!«
Isabella, die das alles bislang schweigend und mit ungläubigem Entsetzen verfolgt hatte, schaute Laurie direkt in die Augen und fragte: »Und warum der Antiquitätenhändler? Was hatte der Ihnen getan?«
»Ging einfach schneller so«, erwiderte Laurie ungerührt. »Und nun habe ich die Nase voll von der Fragerei«, sagte er. »Wenn ihr jemandem die Schuld an alldem geben wollt, dann gebt sie Night. Ein bisschen mehr Respekt, ein Wort der Anerkennung hier und da …« Die Worte wehten davon wie Herbstlaub.
Der Mann war ja vollkommen irre, dachte Adrian.
Laurie gab ihnen keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Mit vorgehaltener Waffe führte er sie zu einer runden Luke. »Aufmachen!«, befahl er.
Talbot gehorchte. Unter Aufbietung all seiner Kräfte drehte er das Rad und öffnete die Luke. Mit einem leisen Knarren schwang sie auf. »Und nun?«
»Rein da!«, sagte Laurie.
»Wollen Sie Mr Night nicht wenigstens die Handschellen abnehmen?«, fragte Millycent.
»Nein«, entgegnete Laurie. »Nein, das will ich nicht.«
Abgesehen von Darwin Nights privatem Zugang (und den diversen schwer gesicherten Leiterschächten) gab es nur drei Wege, um in die Schaltzentrale der Night’s Agency zu gelangen: über das Londoner Parlamentsgebäude, das Herrenklo am Westminster Pier oder die maroden U-Bahnschächte der Circle Line. Das Gleiche galt natürlich auch für den Weg nach draußen.
Talbot sah die Schienen im finsteren Tunnel. »Wenn Sie uns da reinschicken«, sagte er, »kommt das einem Todesurteil gleich.«
»Dann werden Sie es wohl verdient haben«, entgegnete Laurie und grinste teuflisch. Mit einer Bewegung seiner Derringer bugsierte er sie in den finsteren Gang, der hinter der Luke lag. Sie gingen alle hindurch: Darwin Night als Erster. Dann Millycent Miller, Talbot, Isabella und Adrian. Purdy stieg als Letzter durch die Luke.
»Alles Gute für die Zukunft!«, rief Laurie. Dann krachte die Luke hinter ihnen zu und totale Finsternis umfing sie. Nur ein leises elektrisches Sirren hing wie der schwache Nachhall einer gezupften Geigensaite in der Luft. Millycent hoffte, ihre Augen würden sich schnell an die Dunkelheit gewöhnen, doch sie irrte sich. Wo nichts als Schwärze ist, da kann auch kein Eulenauge helfen. Millycent wollte eben einen Schritt vorwärtsmachen, als Talbot sie zurückhielt.
»Stopp!«, rief er und packte ihre rechte Schulter. »Keinen Schritt weiter! Bleiben Sie, wo Sie sind.«
»Was ist los?«, fragte Purdy. »Hast du eine Ahnung, was das hier ist?«
»Das dürfte das Netz der Circle Line sein«, sagte Talbot. »Niemand geht weiter! Denken Sie an die Stromleitungen. Wenn jemand abrutscht und auf die Mittelleitschiene fällt, haben wir zwar für einen kurzen Augenblick Licht. Aber derjenige brennt nicht lange genug, um uns den Weg ins Freie zu leuchten. Lohnt sich also nicht.«
»Großer Gott.« Night, der irgendwo vor ihnen stand, schnappte nach Luft. »Und was, wenn ein Zug kommt?«
Talbot runzelte die Stirn. Eine Antwort erübrigte sich. Jeder von ihnen wusste, was dann geschehen würde.
»Alle paar hundert Meter gibt es Rettungsschächte«, überlegte Millycent. Sie tastete nach Talbots Hand, die nach wie vor auf ihrer Schulter lag. »Ich sehe rein gar nichts, Larry. Können Sie was erkennen?«
»Nein«, sagte er. »Aber beten Sie, dass kein Licht am Ende des Tunnels auftaucht.«
»Das ist nicht witzig, Talbot«, sagte Night.
»War auch nicht so gemeint.«
Millycent kam eine Idee. »Hat einer von euch noch sein Handy?«
Talbot hatte seins im Wagen liegenlassen, aber Maxwell Purdy trug eins bei sich. Dummerweise hatte er kein Netz, doch Millycent bat ihn, die Taschenlampenfunktion
Weitere Kostenlose Bücher