Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
schon fast zehn Minuten vorher sehen. Abgesehen von der aus Rothenburg kommenden Kapsel der beiden Agenten Miller und Purdy hatte er nichts auf dem Schirm. Eine weitere Kapsel erwartete er nicht, und auch auf dem Gang war niemand. Alles ruhig. Toi, toi, toi! Bislang war nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Abwechselnd nippte Morrison mal an seinem Tee oder biss einen Happen von seinem Sandwich ab, während er ungeduldig auf einen Rückruf wartete. Irgendeinen Rückruf. War nicht gerade Hochkonjunktur oder überschlugen sich die Ereignisse, schob man hier unten eine relativ ruhige Kugel. Gut, die Instrumente zu beobachten, zu schauen, ob es überall rund lief und es nirgends einen Kapsel-Stau gab, verlangte einem schon einiges an Konzentration ab. Aber daran war er als Chefingenieur gewöhnt. Viel unangenehmer war die Langeweile. Daher trank er täglich Unmengen von Tee. Ohne Tee wäre die Langeweile tödlich gewesen. Das Dumme daran war nur, dass er deswegen ziemlich oft zur Toilette musste.
Die Wanduhr zeigte 22:58 Uhr. Immer noch 22:58 Uhr? Und das seit fünf Minuten? Das verdammte Ding musste auch defekt sein. Aber das gab es doch gar nicht. Sie arbeiteten ausschließlich mit satellitengestützten Atomuhren! Die konnten nicht falsch gehen … Es sei denn …
Im selben Moment ging die Tür auf und Agent Laurie von der Systemsicherheit kam herein. Da wusste Morrison, dass er mit seinem Verdacht absolut richtiggelegen hatte.
»Hi«, sagte Laurie und hielt ihm den Lauf seiner Glock 17 zwischen die Augen. »Echt lange nicht gesehen, was, Scotty?«
Er hatte nicht mal Zeit gehabt, aufs Klo zu gehen.
Der Zug ratterte schaukelnd und kreischend davon, eine Lichtspur hinter sich herziehend. Dann war im U-Bahn-Schacht plötzlich wieder alles dunkel und still. Totenstill.
Isabella starrte blind in die Schwärze des Tunnels. Eben noch hatte Adrian so dicht bei ihr gestanden, dass sie sein Haar hatte riechen können. Und jetzt war er fort. Für immer! Dabei konnte sie noch den Druck seiner warmen Hand auf ihrem Arm spüren … Tränen schossen ihr in die Augen. Adrian war tot … TOT! Wunder gab es nur in Märchen und Geschichten. Niemand sprang vor eine U-Bahn und überlebte das. Sie klammerte sich an Talbot fest, um nicht umzufallen.
»Soll ich die Schienen ableuchten?«, fragte Purdy, der sein Handy gezückt und die Taschenlampenfunktion wieder eingeschaltet hatte.
Talbot drückte seinen Arm herunter. »Tu das nicht«, sagte er leise. »Bitte.«
Ein schwaches Husten in der Finsternis.
Verblüfft fragte Millycent: »Was war das?«
Noch einmal hörten sie ein Husten.
»Adrian? Das war Adrian!« Darwin Night reagierte als Erster. »Purdy, leuchten Sie mal!«
Isabella hatte das Husten ebenfalls gehört. Das konnte doch nicht sein! Sie erstarrte. Ein winziger Laut, und sie würde in 1000 Stücke zerspringen.
»Hey, würde mich vielleicht mal jemand raufziehen, bevor der nächste Zug kommt?«
Adrian! Das war eindeutig Adrians Stimme! Er lebte! »Nun leuchten Sie doch!«, rief Isabella mit atemloser Stimme. »Leuchten Sie doch endlich!«
Im kalten Lichtkegel von Agent Purdys Mobiltelefon war Adrians dreckiges, zerschrammtes Gesicht wie eine geisterhafte Maske zu sehen. Hilfe suchend streckte er die Arme in die Luft.
Purdy gab Millycent das Handy, und Talbot und er packten je einen Arm und zogen Adrian gemeinsam auf den Sims.
»Danke«, sagte Adrian, höflich wie immer. Er presste sich mit dem Rücken gegen die Tunnelwand. Seine Knie begannen, etwas zu zittern, als ihm allmählich bewusst wurde, was er da eben getan hatte. Schlank, wie er war, hatte er sich an der tödlichen Mittelleitschiene vorbei ins Gleisbett fallen lassen und sich ganz flach hingelegt. Der Zug war einfach über ihn hinweggerast! Für den weitaus massigeren Talbot wäre das Ganze wohl nicht so glimpflich ausgegangen …
»Ich habe dir zu danken«, sagte Talbot und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das Ganze berührte.
Millycent zerstrubbelte Adrian wortlos das Haar.
Und Darwin Night rief: »Was für ein Teufelskerl!«
Zu Adrians völliger Verblüffung zog Isabella ihn an sich, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Noch verblüffter war Adrian nur darüber, wie gut ihm das gefiel!
Keine 20 Meter weiter befand sich der rettende Notausgang. Jetzt mussten sie schnellstens Scott Morrisons Schaltzentrale erreichen. Er war der Einzige, der Laurie noch aufhalten konnte.
Als sie bei der Schaltzentrale
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