Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Tunnel
Night’s Agency, Elevator-Einheit, London
Die Kapsel wurde langsamer. Fast geräuschlos lief sie in die Schleuse Nummer 2 ein. An der Gangway kam sie zum Stillstand und Millycent Miller gab das Zeichen zum Abschnallen.
»Wow!« Adrian stieß einen leisen Pfiff aus. Das war ja wohl das Abgefahrenste, was er jemals gemacht hatte. Die Fahrt mit diesem Wahnsinnsding war echt der Hammer. Da kam keine Achterbahn der Welt mit.
Agent Purdy schien weniger begeistert zu sein. Er war still und blass. Entweder waren das die Nachwirkungen der Schussverletzung oder er konnte ganz einfach die Fahrt im Elevator nicht vertragen.
Gleich zu Beginn hatte Millycent ihnen erklärt, wie die Elevator-Kapsel funktionierte. Dass sie von einem vor der Kapsel herrschenden Vakuum durch die Röhre gezogen wurde, wie Cola durch einen Strohhalm.
Millycent betätigte einen großen Schalter gleich unterhalb des Bullauges in der Tür. Mit einem Zischen wurden die Druckverhältnisse ausgeglichen, und Adrian und Isabella pressten Luft in ihre zugehaltenen Nasen, um den Druckschmerz in den Ohren zu vertreiben. Außer Agent Purdy schien der Druckabfall den Erwachsenen weit weniger auszumachen.
Millycent Miller warf einen Blick durch das Bullauge auf die Gangway von Elevator 2. »Oh, oh!«, sagte sie. »Night erwartet uns schon.«
Und tatsächlich: Draußen, gleich neben dem Durchgang zu den Rolltreppen, stand Darwin Night mit ernster Miene, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und sah zur Kapsel hin.
»Sieht er besorgt aus?«, fragte Purdy.
Millycent nickte. »Ja, ziemlich.«
»Sieht er nicht immer besorgt aus?«, fragte Talbot. Er nahm den Metallkoffer mit Mary Shelleys Lederkoffer darin aus der Wandhalterung, in der er ihn während der rasanten Fahrt fixiert hatte, und klemmte ihn sich unter den Arm. Mittlerweile enthielt er wieder sämtliche Papiere.
Als sich die Luke öffnete, zischte es kurz, so als ließe ein Schnellkochtopf Dampf ab. Dann stiegen sie der Reihe nach aus.
»Gute Nachrichten, Sir!«, begrüßte Millycent ihren noch immer stocksteif und mit versteinerter Miene dastehenden Boss. Sie blieb ebenfalls stehen, als er sich nicht auf sie zubewegte. Ihr Lächeln verschwand nach und nach, als habe es jemand mit einem Dimmer ausgeschaltet. Als Night sie trotzdem unverwandt und mit eisigem Blick fixierte, machte es einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck Platz. »Wir haben den Koffer, Sir!«
»Mit sämtlichen Unterlagen«, setzte Talbot hinzu.
»Sehr schön! Sehr schön! Das freut mich zu hören.« Agent Laurie, der verantwortliche Mann im Bereich Systemsicherheit, trat hinter Darwin Night aus dem Durchgang.
Isabella stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sie ihn sah, und hielt sich instinktiv an Talbot fest. »Das ist der Kerl! Das ist der Typ, der mich auf dem Rastplatz überfallen hat.«
In der rechten Hand hielt Laurie die Glock 17 und richtete sie auf Night. »Dann geben Sie das Schätzchen mal her, Mr Talbot.«
Talbot sah fragend zu Night. Der deutete nur ein kurzes Nicken an. Machen Sie keinen Quatsch, Larry, besagte es. Jetzt erst sahen sie, weshalb Night die Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte. Er trug Handschellen.
»Ja, Larry«, sagte Laurie. »Hören Sie auf Ihren Herrn und Meister. Geben Sie mir den Koffer.«
Talbot stellte den Koffer neben sich auf den Boden. »Holen Sie ihn sich doch«, sagte er kalt.
Adrian sog vor Schreck hörbar die Luft ein, als Laurie, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, die Waffe herumschwenkte und Talbot zweimal kurz hintereinander in den rechten Fuß schoss.
Talbot stöhnte auf und verzog vor Schmerz das Gesicht, blieb aber auf den Beinen. Dann geschah etwas sehr Merkwürdiges. Die beiden Kugeln plumpsten nach ein, zwei Sekunden einfach aus den Einschusslöchern in seinem Schuh heraus und rollten klimpernd über den Fußboden. Adrian konnte nicht glauben, was er da sah. Talbots Gesicht entspannte sich wieder. Der Schmerz schien wie weggeblasen.
»Ich bin beeindruckt, Mr Talbot«, sagte Laurie. »Es stimmt also wirklich. Gewöhnliche Kugeln können Ihnen nicht allzu viel anhaben. Ihr Körper stößt sie ab, nicht wahr? Ich musste es einfach mal mit eigenen Augen sehen.« Seine linke Hand verschwand in der Hosentasche. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt er eine altmodische Derringer in der Hand, eine winzige, doppelläufige Pistole mit Perlmuttgriff. »Diese hier dagegen ist mit Silberkugeln geladen. Wollen wir ausprobieren, was geschieht, wenn
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