Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Haustür.
Nichts. Im Haus blieb es still. Nicht mal Hundegebell war zu hören. Um ganz sicherzugehen, dass niemand zu Hause war, ging Talbot um das Haus herum und in den Garten hinunter. Aber auch hier war niemand zu sehen.
Der Rasensprenger lief offenbar schon seit geraumer Zeit. Der Boden war ganz und gar durchweicht und nicht mehr in der Lage, noch mehr Wasser aufzunehmen. Der Gartenweg war bereits überschwemmt und ein hölzerner Komposter im unteren Teil des Gartens stand zentimetertief im Wasser.
Talbot hatte sich eben einen kleinen Schuppen hinter dem Haus angesehen und festgestellt, dass er verschlossen war, als ihm die offen stehende Kellertür auffiel. Mit dem Ellenbogen schob er sie ganz auf und trat ein.
Vom hinteren Garten aus gelangte man gleich in die Waschküche, wo die Waschmaschine auf Hochtouren lief und überall auf den im Zickzack an der Decke gespannten blauen Leinen Wäsche hing. Nahm man die auf Kipp stehende Balkontür und die offene Kellertür hinzu, musste also jemand zu Hause sein. Allein der offenbar seit Stunden laufende Wassersprenger sprach dagegen.
Er sah sich um. Jenseits der Wäscheleinen befand sich eine Kellertür. Sie war nur angelehnt.
Der Keller, der dahinter lag, war dunkel und deutlich kühler als die Waschküche. Draußen war es brüllend heiß, deshalb empfand Talbot die Kühle hier unten als sehr angenehm.
Oben dudelte irgendwo ein Radio.
So leise wie möglich stieg er die Treppe hinauf, deren Holzstufen trotzdem unter jedem seiner Schritte lautstark ächzten. Wo würde man einen Koffer aufbewahren, wenn man ihn gerade erst geliefert bekommen hat?, fragte er sich. Im Wohnzimmer? Oder im Schlafzimmer? Er nahm an, dass ein so frisch erworbener Gegenstand noch nirgends verstaut worden war. Höchstwahrscheinlich lag er, falls überhaupt schon ausgepackt, noch auf dem Couchtisch oder der Anrichte.
Ein merkwürdig vertrauter Geruch schlug ihm entgegen, als er den Treppenabsatz erreichte und den schmalen Flur entlangschlich. Ein Geruch, der, obgleich von Kaffeeduft und den gewöhnlichen Gerüchen eines bewohnten Hauses überlagert, deutlich und ausgeprägt war. Rechter Hand führte eine Holztreppe in engem Bogen in den ersten Stock hinauf. An den Wänden hingen Bilder. Eine neblige Landschaft mit Schafen. Zwei große Hunde vor einer Hütte irgendwo in den Bergen. Daneben ein Panoramafoto, das einen Gebirgsbach und eine Handvoll Kühe auf einer satten grünen Weide zeigte. Darauf waren dieselben Hunde zu sehen. Keines der Bilder zeigte Menschen. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Bewohner dieses Hauses zögen die Gesellschaft von Tieren der von Menschen vor – und wahrscheinlich hatte man recht damit.
Talbot orientierte sich.
Geradeaus befand sich die Küche. Das Dudeln des Radios kam von dort. Ein Regal mit Teedosen und die blaue Küchenlampe waren durch ein kleines, viereckiges Sprossenfenster im oberen Drittel der Tür zu sehen.
Links davon ging das Wohnzimmer ab. Auch diese Tür stand offen. Ein Schritt, zwei Schritte. Dann sah er den Hund. Im selben Augenblick wurde ihm klar, weshalb ihm der Geruch so vertraut vorgekommen war.
Es war der schwere Geruch von Eisen.
Der Geruch von Blut.
Der Hund, ein schwarzer Riesenschnauzer, lag mitten im Wohnzimmer auf der Seite. Mit den Hinterläufen unter dem Tisch. Die Schnauze berührte das Bein eines Sessels. Er war tot. Um ihn herum hatte sich auf dem Parkettboden eine große Blutlache gebildet.
Talbot ging neben dem toten Tier in die Hocke und legte ihm die Hand auf den fast haarlosen Unterbauch. Er war noch warm. Seiner Einschätzung nach war der Hund nicht länger als 45 Minuten tot, allerhöchstens eine Stunde.
Im Zimmer herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Türen der Schränke standen offen. Geschirr, Tischdecken, Vasen und allerlei Nippes lagen auf dem Boden verstreut. Auch die Schubladen der Anrichte waren herausgezogen und ihr Inhalt ausgekippt worden. Offensichtlich hatte hier jemand nach etwas gesucht. Wenn er recht hatte, war dieses Etwas Miss Camatarus Koffer gewesen. Blieb nur zu hoffen, dass sich derjenige nicht mehr im Haus aufhielt.
Talbot stand auf und bewegte sich in die Richtung, aus der die Radiomusik kam.
Der zweite Hund lag zusammengekrümmt in der Küche unter dem Tisch. Die Zunge hing ihm aus dem blutigen Maul. Talbot sah ihn sofort, als er die nur angelehnte Tür mit dem Fuß aufstieß. Den blutigen Schlieren zufolge hatte man ihn in der Ecke beim Mülleimer erschossen und dann
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