Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
und weder sie noch Purdy trugen Damenstrümpfe.
Millycent zog nach reiflicher Überlegung ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wählte die Nummer der Auskunft.
»Hast du Euros?«, fragte sie, das Handy am Ohr.
»Klar, was denkst du denn.«
»Dann sind wir gerettet.« Sie ließ sich die Nummer eines örtlichen Taxiunternehmens geben. Kein Problem, ein Wagen könne bereits in zehn Minuten vor Ort sein. Na also. »Hilf mir, den Van auf den Weg rauszuschieben, Maxwell«, sagte sie. »Wenn uns der Taxifahrer schon Starthilfe geben muss, können wir uns auch etwas entgegenkommend zeigen. Und falls mehr kaputt sein sollte, kann er uns immer noch hinfahren.«
Die einfachsten Lösungen waren eben meist doch die besten. Trotzdem mussten sie sich ranhalten. Die Zeit rannte.
Ingolstadt, Deutschland
Zwei Tage hatte Lawrence Talbot damit zugebracht, nach dem Verbleib seiner Auftraggeberin zu forschen; denn verschwunden war sie, daran konnte kein Zweifel bestehen. Nachdem er in der Zeitung vom Tod der jungen Schauspielerin gelesen hatte, war er nicht mehr zur Ruhe gekommen. Sein Geld bekam er weiterhin wie vereinbart auf ein extra dafür eingerichtetes Konto überwiesen. Doch jeder Versuch, über die Nummer, die er von Ilena Camataru erhalten hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen, war fehlgeschlagen. Um wenigstens den Urheber der getätigten Überweisungen ausfindig zu machen – was unter normalen Umständen kein größeres Problem darstellte –, hatte Talbot einige seiner alten Kontakte belebt, merkwürdigerweise allerdings nicht das Geringste erfahren können. Was seine Auftraggeberin anging, schien er in eine Sackgasse geraten zu sein. Selbst ein Anruf bei der Rumänischen Botschaft hatte lediglich zur Folge gehabt, dass er sich wie ein inkompetenter Idiot vorkam: Eine Frau namens Ilena Camataru war dort nicht bekannt. Er konnte es drehen, wie er wollte, man hatte ihn, einen ehemaligen Spezialagenten Ihrer Majestät, wie einen dummen Jungen ganz einfach an der Nase herumgeführt. Letztlich ließ das alles nur zwei vernünftige Schlussfolgerungen zu: Entweder war Miss Camataru wegen ihres Ex-Freundes untergetaucht und hatte ihre Spuren verwischt oder sie war mit der getöteten Schauspielerin identisch und man hatte ihn von Anfang an getäuscht und benutzt. Das kratzte natürlich gehörig an seiner Ehre. Doch was auch immer der Fall war, er würde das nicht auf sich beruhen lassen. Seine Neugier war längst über den erteilten Auftrag hinaus geweckt. Und da Talbot die Information, wer den Koffer ersteigert hatte und wann er ausgeliefert werden würde, schon vor einigen Tagen per E-Mail von der angeblichen Miss Camataru erhalten hatte, hielt ihn nun nichts mehr davon ab, der Sache gänzlich auf den Grund zu gehen.
Talstraße Nummer 13 war der rechte Teil eines verklinkerten Doppelhauses aus den späten 70er, frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Vorgarten, den man durch ein hüfthohes, schmiedeeisernes Tor betrat, war sehr gepflegt und wirkte fast pedantisch ordentlich. Am Tor selbst war ein gelbes Kunststoffschild angebracht. VORSICHT VOR DEN HUNDEN, stand darauf. Von den Hunden selbst jedoch gab es keine Spur. Auf der Straße vor dem Haus parkten vier Wagen, alle mit Ingolstädter Kennzeichen: ein alter silberner Golf, ein schwarzes Mercedes-Coupé, irgendein kleiner Fiat, den nur noch der Rost zusammenhielt, und der Kleintransporter einer Kanalreinigungsfirma. Seinen eigenen Wagen hatte Talbot zwei Straßen weiter abgestellt, um keinen Verdacht zu erregen.
Talbot öffnete das Gartentor, trat ein und schloss das Tor wieder sorgsam hinter sich. Die Blumenbeete waren akkurat geharkt, der Rasen geschnitten. Eine zwei Meter hohe, dickbauchige Eibenhecke trennte den Garten vom Nachbargrundstück.
Über dem Rasen tanzten die Mücken, und eine bunt schillernde Libelle surrte wie ein kleiner Helikopter an ihm vorbei. Die Luft, die sie mit ihren eleganten Flügeln durchschnitt, flirrte in der Mittagshitze. Im hinteren Teil des Gartens lief ein Rasensprenger. Im ersten Stock stand die Tür zum Balkon auf Kipp. Aber es war keine Menschenseele zu sehen.
Talbot zog sein Handy aus der Tasche und wählte zur Sicherheit noch einmal die Nummer. Das tat er immer, wenn er vorhatte, ein Objekt ohne die Einwilligung der Besitzer zu betreten. Er hörte, wie drinnen das Telefon klingelte. Er wartete, bis nach einer halben Ewigkeit der Anrufbeantworter anging, dann legte er auf und drückte den Klingelknopf neben der
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