Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
dem Koffer zu tun?«
»Ja«, sagte Talbot. »Ja, das hat es ganz sicher.«
»Das heißt, die Sachen in dem Koffer müssen einiges wert sein. Sonst hätte man Tante Margret doch nicht dafür … umgebracht.«
»Darauf kannst du Gift nehmen, Junge«, sagte Talbot und senkte die Stimme, als er weitersprach: »Wenn die Dokumente im Koffer echt sind, dann ist der Wert des Koffers unermesslich hoch. Dann sprechen wir hier nicht von mehreren Millionen Euro, sondern von einigen Milliarden.«
»Milliarden Euro …« Adrians Stimme klang wie ein schwaches Echo. So viel Geld überstieg sein Vorstellungsvermögen. »Und weswegen fahren wir zu dieser Villa?«
»In ihrem Brief schreibt Mary, dass sie dort etwas versteckt hat«, sagte Talbot. »Ich will es in Sicherheit bringen, ehe es sich jemand anders holt. Und es eventuell in die falschen Hände gerät.«
»Verstehe«, meinte Adrian, auch wenn das nicht ganz stimmte. Ein schlimmer, finsterer Gedanke durchzuckte ihn. Auch Talbot war hinter dem Koffer hergewesen. »Sie waren auch in Tante Margrets Haus. Aber Sie hätten ihr doch nichts getan, oder?« Adrians Frage hatte nüchtern und sachlich geklungen, und doch ging sie Talbot unerwartet nahe. Ein Schlag in die Magengrube hätte ihn nicht unvorbereiteter treffen können.
»Natürlich nicht«, erwiderte Talbot. »Ich habe mit dem Mord an deiner Tante nichts zu tun. Ich habe sie lediglich gefunden.« Er legte Adrian die rechte Hand auf die Schulter und schaute ihm direkt in die Augen. »Glaubst du mir das?«
Adrian sah ihn an und nickte zögernd. »Und warum haben die Hunde nicht gebellt, als ich nach Hause kam?«
»Weil sie ebenfalls getötet wurden.« Wieder sah er Adrian direkt an, ehe er weitersprach, und er versuchte dabei, hinter dessen Stirn zu schauen. Was konnte er einem Jungen seines Alters zumuten, ohne ihn zu zerbrechen? »Wer immer deine Tante erschossen hat, der hat zuvor die Hunde getötet, um ungestört zu sein.«
Mit stockender Stimme fragte Adrian: »Es ist also wirklich wahr? Sind Sie ganz sicher? Gibt es keinen Zweifel? Ist sie … Ist sie wirklich tot?«
»Ja, Junge, das ist sie.« Talbot berührte ihn an der Schulter und drückte sie leicht.
»Aber Sie kannten Tante Margret doch überhaupt nicht«, meinte Adrian, dessen Augen sich nun mit Tränen füllten. »Woher wollen Sie dann wissen, dass sie es war?«
»Sie war es«, antwortete Talbot leise. »Ich habe im Wohnzimmer Fotos von ihr gesehen. Es tut mit so leid, Junge.«
Da begann Adrian endlich zu weinen. Er sah Talbot völlig verzweifelt an. Und all seine Tränen brachen mit einem Mal aus ihm hervor, als wollten sie ihn ganz und gar fortspülen. »Oh Gott«, schluchzte er. »Oh Gott! Oh Gott!« Und er zitterte am ganzen Körper.
Talbot nahm ihn in den Arm, drückte den Jungen fest an sich und streichelte Adrian unbeholfen über den Kopf, während ihm die Tränen in den Hemdkragen tropften.
Nach ein paar Minuten hörte Adrian auf zu weinen und machte sich von Talbot los. Mit geröteten Augen sah er ihn an. »Hat sie …« Er rang nach Worten, schluckte, versuchte verzweifelt, nicht wieder die Fassung zu verlieren. »Hat sie …«, schluchzte er. »… hat sie Angst gehabt? Oder Schmerzen? Ich meine …«
»Ob sie gelitten hat? Nein, das glaube ich nicht«, sagte Talbot, und versuchte, nicht an die Blutergüsse in ihrem Gesicht zu denken. »Es war ein einzelner Schuss. Sie wird es nicht mal gespürt haben.«
Adrian fing sich wieder. Er wischte sich mit den Handballen über die Augen, rückte noch näher ans Feuer, umfasste seine Schienbeine mit beiden Armen und fragte: »Und Ihre Auftraggeberin?«
»Auch tot, so wie es aussieht. Sie gab mir den Auftrag, den Koffer zu beschaffen, weil angeblich eine CD darin war – mit kompromittierenden Aufnahmen.«
»Nacktfotos?«
»Na ja, so was in der Art.« Talbot war erstaunt, wie leicht Adrian das Wort über die Lippen gebracht hatte. Den meisten Jugendlichen wäre das Thema in Gegenwart Erwachsener wohl megapeinlich gewesen. Und er fand, so tief wie der Junge mittlerweile mit drinsteckte, konnte er ihm ruhig alles erzählen. »Wir wissen es jetzt natürlich besser. Und nach allem, was vorgefallen ist, glaube ich langsam, sie war auch nur ein Lockvogel.«
Adrian nickte. »Was meinen Sie, wer steckt dahinter?«
»Keine Ahnung. Aber ich werde es rausfinden.«
»Irgendwas müssen Sie doch wissen«, beharrte Adrian. »Sonst wären wir nicht hier. Sonst würden Sie nicht zu dieser Villa
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