Das Frauenkomplott
ausgestoßene »Küssen, küssen«. Klaus und Monika zierten sich noch eine Weile, gaben irgendwann nach und sich einen Gutenachtkuss auf den Mund. Das Klingeln hörte schlagartig auf. Die Bewegung im Saal ebbte ab, meine Aufmerksamkeit richtete sich erneut auf die goldbraunen seidigen Haare, die sich mir nun von der Seite präsentierten, denn die unbekannte Frau neben Rudolf Schmerbusch küsste genau diesen und zeigte mir ihr Profil.
Ich war perplex. Das war Mari. Sie saß hier bei Riesters im Saal und schaute mit ihrem makellosen Profil den Bruder des Silberbräutigams an und streichelte ihm nun auch noch über das schüttere Haar. Anschließend lächelte sie ihn an, als sei er Prinz Eisenherz und genau so jung und schön, und drückte ihre Wange an seine.
»Das ist Mari«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Gerd und hob mein Weinglas, um irgendetwas zu tun.
»Wer?«
»Die Frau, für die du dich interessierst!«
»Karoline, du willst mich auf den Arm nehmen.«
Das wollte ich nicht, aber ich wollte einfach irgendjemanden verblüffen, damit ich jemanden hatte, mit dem ich meine Überraschung teilen konnte. »Ja, ich kenne sie. Sie ist mit mir im Zug gefahren!«
»Wer«, fragte jetzt Ruth von der anderen Seite des Tisches. »Wer ist mit dir im Zug gefahren?«
Gerd wurde nun ganz aufgeregt: »Na, die Frau, die der Schmerbusch da bei sich hat!«
Ruth drehte sich um und sah gerade noch, wie Mari Rudolf Schmerbusch zärtlich auf den Rücken klopfte und ihm einen weiteren Kuss auf die Wange hauchte.
»Das ist wahrscheinlich seine Tochter!« Ruth drehte sich wieder um. »Der Dicke ist doch mindestens doppelt so alt wie sie.«
»Nicht so laut!«, versuchte Gerd, diese Analyse der Gäste in unserem engen Kreis zu halten. Denn mein rechter Tischnachbar, Ernst Meier, hatte auch schon die Blickrichtung »Schmerbusch« aufgenommen. Ruth nahm einen Schluck Wein. Mari saß mittlerweile erneut mit dem Rücken zu uns und schien sich mit ihrem gegenübersitzenden Tischgenossen zu unterhalten.
Ruth war sich sicher: »Doch, doch, das muss die Nichte von Monika sein. Monika hat mir mal erzählt, die wohnt in der Stadt.«
Das wäre eine Erklärung, warum ich Mari innerhalb von 24 Stunden zweimal mit einem älteren Herrn zu Gesicht bekam. Alles hat eine harmlose Erklärung, beruhigte ich mich und schimpfte im Namen meiner Therapeutin mit mir, dass ich immer gleich allen das Schlechteste unterstelle. Ich lobte mich sogar innerlich, dass ich Mari den Weberknecht nicht übel genommen, sondern das unter »Jeder nach seiner Fasson« abgetan hatte.
»Nein«, sagte Gerd kopfschüttelnd, »die sitzt doch auf der anderen Seite neben Elvira, Monikas Schwester. Die wohnen jetzt irgendwo im Ruhrgebiet. Elvira ist da hingezogen.« Die Nichte von Monika war dunkel, kräftig und groß und eine Frohnatur, denn sie lachte gerade so laut und wiehernd, dass sich auch die anderen am Tisch zu ihr umdrehten.
Wenn die schöne Mari nicht als Nichte von Monika und als Tochter vom kahlköpfigen Rudolf hier war, was machte sie dann im Riester-Saal? Ich trank noch einen Schluck und dachte vor mich hin.
Gerd wollte nun unbedingt wissen, wann und wieso ich Mari kennengelernt hatte, und Ruth schien auch neugierig zu werden, nun, da die Schöne eindeutig als Nicht-Nichte identifiziert war. Ich erzählte von meiner Reise, unterließ es aber, eine Verbindung zwischen meinen Reisebegleitern, dem Weberknecht und Mari, anzudeuten. Denn Gerd hätte das nicht verkraftet. Außerdem saß mir meine Therapeutin innerlich im Nacken und ich verbot mir, mich in eine ausufernde Dorfdiskussion darüber zu stürzen, was erlaubt ist und was nicht.
»Ich geh nach dem Hauptgang einfach mal rüber und frage sie, warum sie hier ist und in welchem Verhältnis sie zu Rudolf Schmerbusch steht!«
Gerd war schockiert, aber gleichzeitig begeistert, dass die Sache bald aufgeklärt werden würde. »Mach das aber nicht zu direkt, Karoline!«, ermahnte er mich.
»Willst du es nun wissen, oder nicht?« Ich warf ihm noch einen pädagogischen Blick zu und machte mich erst einmal über dreierlei Fleisch her, Rindfleisch, gefüllte Schweinebrust und Pute in Curry, und nahm vom Gemüseallerlei mit Béchamelsoße. Für Vegetarier sind solche Silberhochzeiten nichts. Dreimal mussten sich Klaus und Monika während des Hauptgangs küssen und wir tranken jedes Mal auf ihr Wohl. Ruth schien ihre Kopfschmerzen vergessen zu haben und langte kräftig zu. Sie trank Rotwein, als hätte sie Durst,
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