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Das Frauenkomplott

Das Frauenkomplott

Titel: Das Frauenkomplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kroneck
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angekommen?«, fragte Ruth und schaute über die Schulter, während sie eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank nahm. Sie suchte den Korkenzieher in der Schublade.
    »Gestern Abend. Ich hab bei Papa geschlafen … in Nomburgshausen.«
    Ruth öffnete die Flasche und stellte sie auf den Küchentisch, dann nahm sie drei Gläser aus dem alten Glasschrank und stellte eins vor Tobias, eines vor mich am Sofa, und setzte sich mit ihrem Glas ihrem Sohn gegenüber an den Tisch. Ich nahm die Fernsehzeitung und suchte interessiert nach einem Film, aber es gab immer noch keinen, den es sich meiner Meinung nach lohnte anzusehen.
    »Ich geh ins Bett, Ruth. Gute Nacht, Tobias. Bis morgen.« Ich warf den beiden einen möglichst unbefangenen Blick zu und ging die Treppe rauf. Sie schauten mir nach.
    Froh, keine Kinder zu haben, über die ich mir Sorgen machen muss und die mir Kummer bereiten oder die mich ohne viel Federlesens kränken können, legte ich mich ins Bett. Weil ich aber nach diesem Tag nicht einfach einschlafen konnte, begann ich einen architektonischen Aufriss eines zweistöckigen Landhauses zu imaginieren. Wie andere Menschen Schäfchen zählen oder schwierige Wörter wie Tschechoslowakei – obwohl heute ja Tschechei reicht – rückwärts buchstabieren, um sich selbst zu überlisten, so baue ich Häuser, die ich mir nicht leisten kann. Ich berechne so lange die Grundflächen und die Aufgliederung einer Fassade, bis ich vor lauter Konzentration einschlafe. Der Bau eines Hauses dauert etwa eineinhalb Jahre, nach dieser Zeit kenne ich jeden Winkel, und könnte einem Architekten alles direkt in den Stift diktieren.
    Von unten hörte ich Lachen. Etwas benommen schaute ich auf die Uhr, es war kurz vor zwölf. Ich hatte tatsächlich schon anderthalb Stunden geschlafen. Die Konstruktion des Treppenhauses, bei der ich seit etwa einem Monat einschlafe, ist kompliziert und meist erfolgreich.
    Erleichtert drehte ich mich auf die Seite und schlief wieder ein, froh, dass nicht alles so problematisch ist, wie ich meist argwöhne, und mit dem Gedanken, dass Menschen, die gutmütig und nachsichtig sind, etwas haben, was sie bewundernswert macht, auch wenn sie selbst das nicht wissen.

6. Kapitel
    Jerôme hüpfte – so würde ich das nennen, er selbst hält es für elegantes Schlendern – über die Friedrichsbrücke, um auf die Museumsinsel zu gelangen. Ich kam gerade aus der Burgstraße, als ich seinen kleinen Gockelhintern vor mir sah. Wenn ich nicht wüsste, dass er jede Praktikantin persönlich begutachtet, hätte ich ihn für schwul gehalten. Möglicherweise wollte Jerôme durch seine tuntige Attitüde mithalten mit den Künstlern, denen er sich nahe fühlte. Oder er hoffte, dass man ihn für begabt hielt, für einen begabten Schwulen. Ich habe immer noch nicht verstanden, was Geschlecht und Neigung mit Begabung zu tun haben sollen. Aber in der Kunstszene gehört es immer noch zum guten Ton, schwul zu sein. Da hat man als Frau schon mal schlechte Karten. Vor allem als Frau, die stinknormal ist – so wie ich.
    In Berlin kann es unter Umständen nicht ganz unangebracht sein, seine Beziehung zu jüdischen Familien herauszukehren. Ich finde das zum Kotzen. Meinen jüdischen Urgroßeltern habe ich bis jetzt – obwohl ich immer noch am Rande der Existenzmöglichkeit herumkrebse – noch nicht bemüht, weil mir diese Anbiederei vieler Kulturschaffender dem Antisemitismus näher scheint als der Toleranz.
    Jerôme stakte vor mir her und ich hatte auf der Stelle die gleiche Laune wie am Donnerstagnachmittag, als er mir die Rote Karte gezeigt hatte. Drei Monate hatte ich nun noch vor mir. Auf der einen Seite waren mir so lange noch die Honoraranweisungen aus dem Werkvertrag sicher, auf der anderen Seite musste ich dafür aber auch täglich mein Haupt in das Joch beugen und die Gegenwart Jerômes durchstehen. Zum Glück hatte ich am nächsten Tag einen Therapietermin. Die Zeit dort würde ich auf keinen Fall verplempern. Ich sammelte innerlich schon die Punkte, die ich ansprechen wollte. Alles, was in meinem Leben schieflief, konnte ich nicht vorbringen, ich musste Schwerpunkte setzen. Das allein war schon ein therapeutischer Erfolg. Ich warf einen letzten Blick auf den wackelnden Hühnerarsch von Jerôme und entschied mich, über meinen Neid auf erfolgreiche Nicht-Schwule, die schwul zu sein vorgeben, zu sprechen. Da klingelte mein Handy.
    Ich suchte hektisch in meinem Rucksack, und es steckte natürlich nicht an der Stelle, die

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