Das fremde Gesicht
»Ich hab’ Tom Weicker von deiner Reise nach Scottsdale erzählt. PCD hat die Geschichte über Annie in den Sechs-Uhr-Nachrichten gebracht und bringt sie bestimmt noch mal um elf. Ich glaube, sie waren so rücksichtsvoll wie möglich zu dir und mir, aber es ist kein schöner Bericht. Ich sollte dir vielleicht noch sagen, daß ich das Telefon leise gestellt und den Anrufbeantworter angemacht habe. Ein paar Reporter sind an der Tür erschienen, aber ich konnte ihre Funkwagen draußen sehen und hab’ nicht aufgemacht. Sie sind beim Gasthof aufgetaucht, und Virginia hat gesagt, ich sei verreist.«
»Ich bin froh, daß du Tom eingeweiht hast«, sagte Meg.
»Ich hab’ gern für ihn gearbeitet. Ich will, daß er die Story exklusiv hat.« Sie versuchte ihre Mutter anzulächeln. »Du hast Mumm.«
»Was bleibt uns schon anderes übrig. Und, Meg, er hat gestern nicht wegen dir angerufen. Inzwischen ist mir klar, daß der Mann, der tatsächlich angerufen hat, wer immer es war, in Wirklichkeit herausfinden wollte, wo du bist. Ich hab’ die Polizei informiert. Sie wollen das Haus unter Beobachtung halten und regelmäßig in dem Wäldchen nachschauen.« Catherines Selbstbeherrschung versagte.
»Meg, ich habe Angst um dich.«
Meg überlegte: Wer in aller Welt hatte nur auf die Idee kommen können, Weickers Namen zu benutzen?
Sie sagte: »Mom, ich weiß nicht, was da los ist. Aber die Alarmanlage ist doch an, ja?«
»Ja.«
»Dann können wir uns doch jetzt die Nachrichten ansehen. Es ist Zeit.«
Mumm aufzubringen ist eine Sache, dachte Meg, aber die Gewißheit, daß einige hunderttausend Leute sich einen Bericht anschauen, der das eigene Privatleben verhackstückt, ist ganz etwas anderes.
Sie schaute und hörte zu, wie Joel Edison, der PCD-Moderator der Elf-Uhr-Nachrichten, auf angemessen ernste Weise die Einführungsworte sprach. »Wie wir bereits exklusiv in unserer Nachrichtensendung um achtzehn Uhr berichtet haben, ist Edwin Collins, der seit dem achtundzwanzigsten Januar unauffindbar ist und als mutmaßlicher Täter in dem Mordfall der Manning Clinic gilt, der Vater der jungen Frau, die vor zwölf Tagen mitten in Manhattan erstochen wurde. Mr. Collins …
… der auch der Vater unserer Kollegin Meghan Collins ist … Haftbefehl … hatte zwei Familien … in Arizona bekannt als Ehemann dernamhaften Bildhauerin Frances Grolier …«
»Die haben offenbar auch selber recherchiert«, sagte Catherine. »Das hab’ ich ihnen nicht gesagt.«
Endlich kam Werbung.
Meg drückte den »Aus«-Knopf auf der Fernbedienung, und der Bildschirm wurde dunkel. »Annies Mutter hat mir noch etwas gesagt: Als Dad zum letztenmal in Arizona war, hat ihn etwas total entsetzt, was er über Victor Orsini erfahren hatte.«
»Victor Orsini!«
Die Bestürzung im Tonfall ihrer Mutter verblüffte Meg.
»Ja. Wieso? War irgendwas los mit ihm in der Zwischenzeit?«
»Er war heute hier. Er hat gefragt, ob er Edwins Unterlagen durchgehen kann. Er hat behauptet, daß ein paar Papiere dabei sind, die er braucht.«
»Hat er irgendwas mitgenommen? Hast du ihn mit den Akten allein gelassen?«
»Nein. Oder höchstens eine Minute. Er war ungefähr eine Stunde lang hier. Als er ging, kam er mir enttäuscht vor. Er hat gefragt, ob das ganz bestimmt alle Unterlagen sind, die wir mit nach Hause genommen haben. Meg, er hat mich angefleht, Phillip vorläufig nichts davon zu erzählen, daß er hier war. Ich hab’s ihm versprochen, wußte aber nicht, was ich mir dabei denken soll.«
»Was ich mir dabei denke, ist, daß unter diesen Papieren irgend etwas steckt, von dem er nicht will, daß wir’s finden.«
Meg erhob sich. »Ich schlage vor, daß wir jetzt ins Bett gehen. Du kannst dich darauf verlassen, daß morgen wieder überall Journalisten herumschwirren, aber du und ich, wir werden uns den ganzen Tag über die Akten vornehmen.«
Sie schwieg eine Weile, fügte dann hinzu: »Ich wünschte bloß, wir wüßten, wonach wir überhaupt suchen.«
Bernie war am Fenster seines Zimmers im Drumdoe Inn, als Meghan zu Hause eintraf. Er hatte seine Kamera mit dem Teleobjektiv in Bereitschaft und ließ sie abfahren, sobald Meghan das Licht in ihrem Schlafzimmer anmachte. Er seufzte vor Vergnügen, als sie ihre Jacke auszog und die Bluse aufknöpfte.
Dann kam sie herüber und verstellte die Jalousielamellen, schloß sie jedoch nicht völlig, und so bekam er Meghan zwischendurch noch halbwegs ins Visier, während sie sich beim Ausziehen hin und her bewegte.
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