Das fremde Gesicht
Tagen entlassen und brauchte dann ein ruhiges Plätzchen, wo sie sich ausruhen konnte und nicht zu kochen brauchte.
»Sind die Zimmer hier teuer?« fragte er den Barkeeper.
»Ich muß einen Platz für meine Mutter finden, damit sie wieder zu Kräften kommt, wenn Sie wissen, was ich meine. Sie ist nicht mehr krank, aber noch ziemlich schwach und kann jetzt nicht alleine für sich herumhängen.«
»Die Gästezimmer sind super«, sagte Joe. »Sie sind erst vor zwei Jahren renoviert worden. Zur Zeit sind sie nicht teuer. Es ist ja keine Hauptsaison. In ungefähr drei Wochen, ums Erntedankfest herum, gehen die Preise rauf und bleiben die Skisaison hindurch oben. Danach gibt’s wieder einen Nachlaß bis April oder Mai.«
»Meine Mutter mag eine Menge Sonne.«
»Ich weiß, daß die Zimmer zur Hälfte leer sind. Reden Sie mit Virginia Murphy. Sie ist Mrs. Collins’ Assistentin und kümmert sich um alles.«
Das Zimmer, das sich Bernie aussuchte, war noch besser, als er erwartet hatte. An der Südseite des Gasthofs gelegen, ging es direkt aufs Haus der Collins’ hinaus.
Selbst bei all den elektronischen Geräten, die er sich in letzter Zeit gekauft hatte, blieb ihm noch reichlich Spielraum mit seiner Kreditkarte. Er konnte hier lange Zeit bleiben.
Murphy nahm sie mit einem freundlichen Lächeln entgegen. »Wann wird Ihre Mutter eintreffen, Mr. Heffernan?« fragte sie.
»Die nächsten paar Tage kommt sie noch nicht«, erklärte Bernie. »Ich möchte das Zimmer zur Verfügung haben, bis sie aus dem Krankenhaus kommt. Es ist eine zu weite Fahrt, jeden Tag von Long Island hierher und wieder zurück.«
»Das kann man wohl sagen, und der Verkehr ist manchmal schlimm. Haben Sie Gepäck?«
»Das bringe ich später nach.«
Bernie fuhr nach Hause. Nach dem Abendessen mit Mama erzählte er ihr, sein Boß habe ihn beauftragt, den Wagen eines Kunden nach Chicago zu chauffieren. »Ich bin ungefähr drei oder vier Tage weg, Mama. Es ist ein teures neues Auto, und sie wollen nicht, daß ich zu schnell fahre. Sie schicken mich dann mit dem Bus zurück.«
»Wieviel zahlen sie dir dafür?«
Bernie griff einen Betrag aus der Luft. »Zweihundert Dollar pro Tag, Mama.«
Sie schnaufte auf. »Mir wird ganz schlecht, wenn ich dran denke, wie ich geschuftet hab’, um dich zu ernähren, und so gut wie gar nichts gekriegt hab’, und du kriegst zweihundert Dollar am Tag dafür, daß du einen schicken Wagen herumfährst.«
»Er will, daß ich heute abend losfahre.« Bernie ging ins Schlafzimmer und warf ein paar Sachen zum Anziehen in den schwarzen Nylonkoffer, den Mama vor Jahren aus zweiter Hand gekauft hatte. Er sah nicht schlecht aus.
Mama hatte ihn gereinigt.
Er achtete darauf, genügend Videokassetten für seine Kamera einzupacken, all seine Objektive und sein Mobiltelefon.
Er verabschiedete sich von Mama, küßte sie aber nicht.
Sie gaben sich nie einen Kuß. Mama hatte etwas gegen Küsse. Wie gewöhnlich stand sie an der Tür und schaute ihm nach, als er wegfuhr.
Ihre letzten Worte an ihn waren: »Mach keine Dummheiten, Bernard.«
Meghan kam kurz vor halb elf zu Hause an. Ihre Mutter hatte Käse mit Crackers und Weintrauben auf dem Couchtisch im Wohnzimmer hergerichtet und Wein in der Karaffe kühlgestellt. »Ich dachte, du kannst eine kleine Stärkung gebrauchen.«
»Ich brauche etwas. Ich bin gleich wieder unten. Ich mach’s mir eben bequemer.«
Sie trug ihre Tasche nach oben, wechselte in einen Pyjama, Morgenrock und Hausschuhe, wusch sich das Gesicht, bürstete die Haare und straffte sie mit einem Band nach hinten.
»Jetzt fühl’ ich mich besser«, sagte sie, als sie wieder ins Wohnzimmer kam. »Macht es dir etwas aus, wenn wir heute abend nicht alles bereden? Das Wesentliche weißt du. Dad und Annies Mutter hatten siebenundzwanzig Jahre lang ein Verhältnis. Sie hat ihn zum letztenmal gesehen, als er sich auf die Heimreise zu uns machte und nie ankam. Sie und ihr Anwalt fliegen heute abend mit der Nachtmaschine um elf Uhr fünfundzwanzig von Phoenix aus. Sie landen morgen früh gegen sechs in New York.«
»Wieso hat sie nicht bis morgen abgewartet? Wieso würde irgendwer die ganze Nacht über fliegen wollen?«
»Ich vermute, daß sie die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen will. Ich hab’ sie gewarnt, daß die Polizei bestimmt mit ihr reden will und es wahrscheinlich einen riesigen Medienrummel gibt.«
»Meg, ich hoffe, ich hab’ das richtig gemacht.«
Catherine zögerte.
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