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Das fremde Gesicht

Titel: Das fremde Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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daß ich Nicky stundenlang nach der Geburt nicht einmal angeschaut hab’. Da fehlt es gerade noch, daß er, wenn er groß wird, herausfindet, daß ich jemanden verklagt habe, weil er statt eines anderen Babys auf der Welt ist.«
    Sie hatten ihn Nicholas nach Dinas Großvater getauft, demselben, dem er, wie ihre Mutter schwor, ähnlich sah.
    Vom Babybettchen in der Nähe konnte sie eine Bewegung hören, ein leises Jammern, dann ein kräftiges Schreien, als ihr Säugling aufwachte.
    »Er hat gehört, daß wir von ihm geredet haben«, sagte Jonathan.
    »Ja, vielleicht, mein Schatz«, stimmte Dina zu, während sie Jonathan auf seinen seidigen Blondschopf küßte.
    »Er hat ganz einfach wieder Hunger«, verkündete Don.
    Er beugte sich hinunter, nahm das zappelnde Bündel auf und reichte es Dina.
    »Weißt du bestimmt, daß er nicht mein Zwillingsbruder ist?« fragte Jonathan.
    »Ja, ganz bestimmt«, sagte Dina. »Aber er ist dein Bruder, und das ist ganz genauso gut.«
    Sie legte sich den Kleinen an die Brust. »Du hast meine olivfarbene Haut«, sagte sie, während sie ihm zart über die Wange strich, damit er zu nuckeln anfing. »Mein kleiner Landsmann.«
    Sie lächelte ihren Mann an. »Weißt du was, Don? Es ist wirklich nur fair, daß einer von unseren Jungen wie ich aussieht.«

    Meghan brach am Freitag morgen so früh auf, daß sie schon um halb elf in der Pfarrei der Kirche St. Dominic’s am Rand von Trenton sein konnte.
    Sie hatte den jungen Priester gestern gleich nach dem Abendessen angerufen und sich mit ihm verabredet.

    Die Pfarrei war ein schmales dreistöckiges Fachwerkhaus, typisch für das viktorianische Zeitalter, mit einer überdachten Veranda rundum und dem Zuschnitt eines Lebkuchenhauses. Das Wohnzimmer war heruntergekommen, aber behaglich, mit schweren, mächtig gepolsterten Sesseln, einem geschnitzten Bibliothekstisch, altmodischen Stehlampen und einem verblichenen Perserteppich. Der offene Kamin glühte mit brennenden Holzscheiten und sprühenden Funken und vertrieb die Kälte aus der winzigen Eingangshalle.
    Pater Radzin hatte ihr mit der Entschuldigung die Tür geöffnet, er sei gerade am Telefon, sie dann in dieses Zimmer geführt und war die Treppe hinauf verschwunden.
    Während Meghan wartete, kam ihr der Gedanke, daß dies der richtige Raum für bekümmerte Menschen war, um sich frei von Furcht vor Verdammung oder Vorwürfen ihre Sorgen von der Seele zu reden.
    Sie war sich nicht ganz sicher, was sie den Pater fragen würde. Von der kurzen Gedenkrede, die er bei dem Trauergottesdienst gehalten hatte, wußte sie jedoch, daß er Helene Petrovic gekannt und geschätzt hatte.
    Sie hörte seine Schritte auf der Treppe. Dann war er im Zimmer und entschuldigte sich abermals, daß er sie hatte warten lassen. Er setzte sich in einen Sessel ihr gegenüber und fragte: »Wie kann ich Ihnen helfen, Meghan?«
    Nicht: »Was kann ich für Sie tun?«, sondern: »Wie kann ich Ihnen helfen?« Ein feiner Unterschied, der merkwürdig tröstlich war. »Ich muß herausfinden, wer Helene wirklich war. Sie sind doch über die Situation in der Manning Clinic im Bilde?«
    »Ja, selbstverständlich. Ich habe die Sache verfolgt.
    Außerdem sah ich heute morgen in der Zeitung ein Foto von Ihnen und dem armen Mädchen, das erstochen wurde.

    Die Ähnlichkeit ist tatsächlich bemerkenswert.«
    »Ich hab’ die Zeitung nicht gesehen, aber ich weiß, was Sie meinen. Eigentlich hat damit alles angefangen.«
    Meghan beugte sich vor und verschränkte ihre Finger ineinander, die Handflächen zusammengepreßt. »Der Staatsanwalt, der für den Mordfall Helene Petrovic zuständig ist, glaubt, daß mein Vater für Helenes Anstellung bei der Manning Clinic und für ihren Tod verantwortlich ist. Zu viele Dinge ergeben keinen Sinn.
    Warum sollte er ein Interesse daran gehabt haben, daß die Klinik jemanden einstellt, der für die Position nicht qualifiziert war? Was für einen Vorteil konnte er überhaupt daraus ziehen, sie in dem Labor zu plazieren?«
    »Für jede Handlung, die ein Mensch unternimmt, gibt es immer einen Grund, Meghan, bisweilen mehrere.«
    »Genau das meine ich. Ich kann keinen einzigen finden, schon gar nicht mehrere. Es gibt einfach keinen Sinn.
    Weshalb hätte sich mein Vater überhaupt mit Helene befassen sollen, wenn er wußte, daß sie eine Hochstaplerin war? Ich weiß, daß er sehr gewissenhaft bei seiner Arbeit war. Er war stolz darauf, seinen Kunden die richtigen Leute zu besorgen. Wir haben früher oft

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