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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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eingerostet. Ich habe mein Fremdenführer-Sprüchlein schon seit einer ganzen Weile nicht mehr aufgesagt.« Wieder das gierige weinerliche Lächeln, Simon versuchte, nicht zurückzuweichen.
    Nigel seufzte. »Ich komme nicht mit«, verkündete er.
    »Hat dich auch niemand darum gebeten.« Barbara knallte ihre Antwort hin wie eine Trumpfkarte.
    Simon folgte ihr aus dem Zimmer. Auf halber Treppe blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. »Wahrscheinlich verstehen Sie nicht, warum wir keine Fragen stellen«, sagte sie. »Um unseres emotionalen Überlebens willen können wir unserer Neugier nicht nachgeben. Es ist viel leichter, wenn wir nicht erfahren, was aus ihm geworden ist.«
    »Das muss ziemlich viel Disziplin erfordern«, bemerkte Simon.
    »Nicht unbedingt. Niemand leidet gern unnötig, ich zumindest nicht, und Nigel ebenfalls nicht. Jede neue Information über unseren Exsohn würde uns drei Tage unseres Lebens kosten. Sogar wenn es ein völlig unwichtiges Detail wäre – dass Kit heute früh in den Laden gegangen ist, um sich eine Zeitung zu kaufen oder welches Hemd er gestern trug. Selbst wenn Sie mir nur das erzählen würden, läge ich morgen den ganzen Tag im Bett, unfähig, irgendetwas zu tun. Ich will nicht in der Gegenwartsform an ihn denken müssen – verstehen Sie das?«
    Simon hoffte nicht, er hoffte, dass die Worte nicht das bedeuteten, was er herauszuhören glaubte.
    »Wir müssen daran glauben, dass die Zeit stehen geblieben ist«, belehrte Barbara ihn, ebenso überzeugt von der Richtigkeit ihrer Position wie der Wahlwerber einer politischen Partei. »Deshalb gehe ich jeden Tag in sein Zimmer. Nigel kann es nicht ertragen. Ich auch nicht, eigentlich, aber wenn ich das Zimmer nicht betreten würde, würde ich nicht mit Sicherheit wissen, dass sich nichts darin verändert hat. Und jemand muss ja auch sauber machen.«
    Sie erklomm die restlichen Stufen bis zum Treppenabsatz. Simon folgte ihr. Er sah vier Türen, alle waren sie geschlossen. Auf eine Tür war ein großes Blatt Papier geklebt, auf das ein schwarzes Rechteck gemalt war, mit vollkommen geraden Seiten. Darin stand etwas in kleinen schwarzen Buchstaben. Von seiner Position aus konnte Simon es nicht entziffern.
    »Das ist Kits Zimmer, das mit dem Schild an der Tür«, erklärte Barbara. Das hatte Simon sich schon gedacht. Als er nähertrat, sah er, dass das Schild aus festem Papier bestand, einer Art dünnem Karton. Und die Worte waren darauf gemalt, nicht geschrieben. Mit großer Sorgfalt, es wirkte fast wie Kalligrafie. Für Kit Bowskill hatte das Schild an seiner Tür mehr sein sollen als nur ein Medium zur Informationsübermittlung.
    Barbara, die hinter Simon stand, zitierte den Text laut, während Simon ihn las. Der Effekt war beunruhigend, als wäre sie die Stimme seiner Gedanken. »Zivilisation ist das Fortschreiten hin zu einer Gesellschaft der Privatsphäre. Das gesamte Leben des Wilden findet öffentlich statt, regiert von den Gesetzen seines Stammes. Die Zivilisation ist der Prozess, der den Menschen vom Menschen befreit.«
    Unter dem Zitat stand ein Name: Ayn Rand. Autorin des Romans Der Ursprung . Eins der vielen Bücher, die Simon immer schon mal hatte lesen wollen, obwohl er sich nie so recht dazu hatte aufraffen können. »Ist das eine intellektuelle Variante von ›Kits Zimmer – Zutritt verboten‹?«, fragte er Barbara.
    Sie nickte. »Und wir haben uns daran gehalten. Peinlich genau. Bis Kit uns mitteilte, wir würden ihn nie wiedersehen. Da dachte ich: Wenn ich schon meinen Sohn verliere, kann ich mir zumindest ein Zimmer meines Hauses zurückholen. Ich war so wütend, ich hätte die Wände niederreißen können.« Das elektrische Vibrieren in ihrer Stimme zeigte, dass die Wut inzwischen nicht geringer geworden war. »Ich ging mit der Absicht da rein, das Zimmer auszuräumen, aber als ich sah, was er gemacht hatte, konnte ich es nicht. Wie konnte ich das geheime Kunstwerk meines Sohnes zerstören, wenn das alles war, was mir von ihm geblieben war? Nigel meint, es sei keine Kunst, Kit sei kein Künstler, aber ich wüsste nicht, wie ich es sonst beschreiben sollte.«
    Simon stand näher an der Tür als sie – zwei Schritte entfernt. Er hätte das Zimmer betreten und es sich selbst ansehen können, was immer es auch sein mochte, statt draußen stehen zu bleiben und sich Barbaras indirekte Beschreibung anzuhören. Aber das wäre ihm unpassend vorgekommen. Er hatte das Gefühl, auf ihre Erlaubnis warten zu müssen.
    »Haben

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