Das fremde Haus
verstrickt sind. Ich weiß, was sie tun würden.« Es kommt mir vor wie eine Offenbarung, obwohl mir gleichzeitig bewusst ist, dass ich mir das alles nur ausdenke. »Sie würden Druck auf mich ausüben, damit ich ihn verlasse und wieder in Thorrold House einziehe. Sicherheitshalber. ›Wenn du nicht hundertprozentig sicher bist, dass du ihm vertrauen kannst, kannst du nicht bei ihm bleiben‹, würden sie sagen.«
»Und ist das so verkehrt?«
»Ja. Lieber lasse ich mir den Rest meines Leben durch Verdächtigungen zerstören, als nichts zu erreichen, als einen Mann zu verlassen, den ich liebe und der sehr wahrscheinlich gar nichts Unrechtes getan hat.«
Alice setzt ihre Brille wieder auf und beugt sich vor. Das Leder ihres Bürostuhls knarzt. »Etwas müssen Sie mir erklären. Sie sagen, es gebe keine Möglichkeit, den Verdacht auszuräumen, aber im nächsten Atemzug erwähnen Sie die Möglichkeit, einen Privatdetektiv anzuheuern. Vielleicht widerstrebt Ihnen das und ich könnte das gut verstehen, aber wäre das nicht eine Möglichkeit herauszufinden, ob Kit lügt oder nicht?«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich einen Privatdetektiv anheuern soll?« Wenn sie das bejaht, bin ich zum letzten Mal hier gewesen. »Wäre es nicht gefährlich, wenn ein zu Wahnvorstellungen neigender Mensch wie ich zu dem Schluss kommt, dass er sich Gewissheit kaufen kann, wann immer er sie braucht? Wäre es nicht besser, wenn ich versuchen würde, Vertrauen zu entwickeln? Was ist, wenn der Detektiv Kit einen Monat lang folgt und nichts herausfindet? Würde ich dann endlich akzeptieren, dass nichts vorgeht, oder würde ich mich fragen, ob der Detektiv vielleicht schlampig gearbeitet hat und ihm etwas entgangen ist?«
Alice lächelt. »Und doch haben Sie heute Morgen einem Ermittler erzählt, dass sie im Internet eine tote Frau gesehen haben. Vielleicht arbeitet er ja schlampig, und ihm entgeht etwas.«
»Dann werde ich nach Cambridge fahren, einen gewissenhaften Ermittler auftun und dafür sorgen, dass er mir zuhört«, erkläre ich grimmig.
»Weil Sie die Wahrheit herausfinden wollen.«
»Hier geht es nicht um mich, sondern um die unbekannte Frau, die ich gesehen habe. Jemand hat sie ermordet. Ich kann nicht einfach –«
»Sie wollen die Wahrheit herausfinden«, wiederholt Alice.
»Also schön, ja, das will ich! Ich habe in diesem Haus eine tote Frau auf dem Boden liegen sehen. Würden Sie da nicht auch die Wahrheit herausfinden wollen?«
»Connie, darf ich ganz offen sprechen? Wenn Sie von der toten Frau sprechen, ist Ihre wahrheitssuchende Energie sehr stark. Sie ist spürbar – ich kann sie deutlich wahrnehmen. Normalerweise würde das dazu führen, dass die Wahrheit sich anziehen lässt. Wenn wir uns auf etwas konzentrieren, das wir mit aller Kraft wollen, wenn wir fest glauben, dass wir es eines Tages bekommen werden und entschlossen sind, nie aufzugeben, kommt das, was wir suchen, normalerweise zu uns – es ist nur eine Frage der Zeit und es kann dauern, bis es so weit ist. Aber in Ihrem Fall gibt es eine Komplikation. In einem anderen Lebensbereich haben Sie panische Angst davor, die Wahrheit herauszufinden, und Sie strahlen eine gleichstarke wahrheitsabstoßende Energie aus.« Sie verschränkt die Arme und wartet auf meine Reaktion.
»Kit, meinen Sie? Das ist nicht fair. Sie wissen, wie angestrengt ich es versucht habe.«
»Das haben Sie nicht«, sagt Alice sanft. »Sie belügen sich selbst, wenn Sie das glauben.«
In dem Fall muss ich wohl ganz außerordentlich überzeugend sein. »Sie behaupten also, die sich widersprechenden Energien vermischen sich und senden ein widersprüchliches Signal aus, oder was? Dass meine Angst, die Wahrheit über Kit herauszufinden, alle Wahrheit abstößt?«
Alice schweigt.
»Also, wer auch immer für diesen ganzen Energie– und Anziehungskram im Universum zuständig ist, da oben im Cockpit des Universums – Gott oder das Schicksal oder wie immer Sie es auch nennen wollen – ist offenbar kurzsichtig, oder?«, sage ich gereizt. »Er kann die Einkaufsliste nicht richtig lesen. Posten eins: Wahrheit über tote Frau; Posten zwei: keine Wahrheit über möglicherweise betrügerischen Ehemann. Es verschwimmt irgendwie, nicht wahr, sodass er nicht genau weiß, was er liefern soll? Kann er sich nicht mal richtig konzentrieren und eine anständige Lesebrille an Land ziehen? Für den allmächtigen Lenker des Universums sollte das doch nicht unmöglich sein.«
»Nichts ist verschwommen«,
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