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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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habe immer hervorragende Arbeit für ihn geleistet, aber das zählt nicht. Ich hätte mir gar nicht die Mühe zu machen brauchen.
    Und jetzt denke ich wie eine Märtyrerin. Heißt es nicht, dass alle Frauen irgendwann so werden wie ihre Mütter?
    Gib bekannt, dass du bei Monks & Söhne aufhören wirst. Dass du kündigst. Vollzeit für Nulli arbeiten – das würdest du doch am liebsten machen, oder? Was ist das nur mit diesen Menschen, warum kann ich bei ihnen nie sagen, was ich meine oder das tun, was ich will?
    »Du widersprichst dir«, sage ich zu meinem Vater. »Wenn ich mir die Leiche nur eingebildet habe, ist es kein grausiges Todeshaus, oder?«
    »Also willst du das Haus doch kaufen. Ich wusste es!« Er schlägt mit der Faust auf den Tisch und bringt ihn zum Wackeln.
    »Der Verkäufer würde es auch nicht tun«, plappert meine Mutter vor sich hin, während sie Papier von der Küchenrolle um ihre verbrannte Hand wickelt und darauf wartet, dass der Kessel kocht. »Der will doch wahrscheinlich das Haus genauso dringend verkaufen wie der Makler.«
    »Bitte hör auf, alle Leute aufzuzählen, die keine Leiche auf eine Internetseite stellen würden, Mutti«, stöhnt Fran. »Du hast dein Argument vorgebracht: niemand würde so etwas tun.«
    »Also, wenn niemand so etwas tun würde, kann Connie es auch nicht gesehen haben, oder?« Sie nickt mir triumphierend zu, als wäre die Sache damit ein für alle Mal geklärt.
    Warum fühle ich mich immer so, wenn ich mit meiner Familie zusammen bin? Wenn ich längere Zeit mit ihnen zusammen bin, winde ich mich vor Unbehagen und suche verzweifelt nach einer Luftblase, während aller Sauerstoff langsam aus dem Gespräch gequetscht wird.
    Ich kann ihre Gesellschaft nicht länger ertragen. Aber ebenso unerträglich ist mir der Gedanke, nach Hause zu gehen, zu Kit, der mich fragen wird, wie es gelaufen ist, und lachen wird wie über eine Sitcom im Fernsehen, wenn ich die Szene für ihn ausmale, wie er es von mir erwartet, als wäre ich eine Komikerin und meine Familie unterhaltsam und harmlos, Witzmaterial. Es gibt nur einen Menschen, mit dem ich jetzt gern reden würde. Zwar ist Samstag, aber es handelt sich schließlich um einen Notfall.
    Wirklich? Bist du sicher?
    Wann war ich mir zuletzt sicher?
    Ich ziehe mein Handy aus der Handtasche und verlasse den Raum. Meine Mutter ruft hinter mir her: »Du brauchst nicht extra rauszugehen. Wir lauschen schon nicht.«
***
    »Und das Absurde ist, fast hätte ich es nicht getan. Ich ertappte mich bei dem Gedanken: Aber es ist kein echter Notfall – du verblutest nicht, du bist nicht von einer Klippe gestürzt und hältst dich nur noch mit den Fingernägeln fest. Spar dir die Erlaubnis, im Notfall anzurufen, lieber für eine Gelegenheit auf, bei der es um Leben und Tod geht, verschwende sie nicht. Aber warum nicht? Ich meine, es geht hier doch um Leben und Tod. Die Frau, die ich gesehen habe, ist ermordet worden – sie muss ermordet worden sein. Und wie bin ich überhaupt auf den Gedanken gekommen, die Erlaubnis gelte nur einmal, und wenn ich sie aufgebraucht hätte, wäre sie für immer futsch? Oder würden Sie mir böse sein, wenn ich in ein paar Monaten oder sogar Jahren noch einmal außerhalb der Sprechzeiten anrufen sollte, wenn ich das Pech habe, mich wieder so schlecht zu fühlen?«
    »Fällt Ihnen auf, was für Wörter Sie verwenden?«, fragt Alice. »›Sparen‹, ›verschwenden‹.«
    Nein, das war mir nicht aufgefallen. Da es zu deprimierend wäre, das zuzugeben, schweige ich. Als ich anfing, zu Alice zu gehen, haben die langen Schweigephasen mir Unbehagen bereitet. Inzwischen habe ich mich an sie gewöhnt. Sie sind mir ans Herz gewachsen. Manchmal zähle ich, wie lange sie dauern: ein Elefant, zwei Elefanten, drei Elefanten. Manchmal verfalle ich in eine Art Trance und starre auf die Glasperlen an dem cremefarbenen Seidenrollo oder auf den Kronleuchter mit den rosa Schmetterlingen.
    »Warum haben Sie Ihrer Familie von der Frau und dem Blut erzählt?«, sagt Alice schließlich.
    »Das hat Kit mich auch gefragt. Warum es ihnen erzählen?, meinte er. ›Sie werden dich nur durch die Mangel drehen und dafür sorgen, dass du dich noch hundert Mal schlechter fühlst‹. Er hatte recht, das weiß ich ja, aber ich bin trotzdem hin und habe mich direkt in die Schusslinie gestellt.«
    »Sie beschreiben Ihre Eltern oft als erstickend oder erdrückend.« Alice erinnert sich an jedes Wort, das ich seit meinem ersten Termin in ihrer Gegenwart

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