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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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ihrem akribisch genau geführten Geburtstagskalender kann sie in Schach halten.«
    Kit starrte mich an. Er hatte aufgehört zu lachen.
    »Entschuldige«, sagte ich. »Wenn ich zu viel getrunken habe, rede ich zu viel.«
    »Ich könnte dir für den Rest meines Lebens zuhören«, sagte er.
    »Wirklich? Na, in dem Fall, auch bei Fran liegst du falsch.«
    »Sie ist nicht Culver Valleys Antwort auf Dorothy Parker?«
    »Sie ist nicht auf meinen Vater losgegangen, obwohl sie das wahrscheinlich behaupten würde, wenn ich sie fragte. Sie war es, die Anton mit einem lächerlichen Lob runtergemacht hat. Sie liebt ihn, versteh mich nicht falsch, aber ich glaube manchmal, sie wünscht, er … ich weiß nicht, es wäre ein bisschen mehr an ihm dran.«
    »Warum hast du nicht studiert?«, fragte Kit mich.
    Der plötzliche Themenwechsel überraschte mich. »Das habe ich dir doch schon erzählt. Von meinen Freunden ist auch keiner auf die Uni gegangen, und meine Eltern haben mir einen gut bezahlten Job im Geschäft angeboten.«
    »Du bist unglaublich helle und scharfsichtig, Connie. Du könntest weit mehr sein als die Buchhalterin deiner Eltern, wenn du nur wolltest. Du könntest es weit bringen – richtig weit. Du könntest Little Holling, Silsford, hinter dir lassen.« Er blieb stehen, sodass auch ich stehen bleiben musste. Ich fand es unglaublich romantisch, dass er mitten im Regen stehen blieb, um mir zu sagen, dass ich brillant sei und Potential hätte.
    »Meine Lehrer haben mich fast auf Knien angefleht, doch zu studieren, aber … es war mir wohl irgendwie suspekt. Ist es immer noch. Warum sollte man drei Jahre damit zubringen, sich von Leuten, die glauben, dass sie mehr wissen als man selber, befehlen zu lassen, welche Bücher man lesen soll, wenn man selbst entscheiden kann, was man lesen will? Man kann sich auch ohne fremde Hilfe Bildung aneignen – und ohne dafür zahlen zu müssen.«
    Kit wischte mir einen Regentropfen aus dem Gesicht. »Das ist genau die Art philisterhaftes Denken, das ich von jemandem erwarten würde, dessen Bildungsweg mit achtzehn vorzeitig abgebrochen wurde.«
    »Mit sechzehn«, korrigierte ich ihn. »Ich habe auch kein Abi.«
    »Heilige Scheiße!«, rief er aus. »Gleich erzählst du mir noch, dass du von Wölfen aufgezogen wurdest.«
    »Weißt du, wie viele Bücher ich letztes Jahr gelesen habe? Hundertzwei. Ich schreibe alle in mein kleines Notizbuch –«
    »Du solltest studieren«, unterbrach Kit mich. »Jetzt noch, als ältere Studentin. Du würdest die Uni lieben, Connie, das weiß ich. Cambridge war zweifellos das Beste, was mir je passiert ist – es waren die besten drei Jahre meines Lebens. Ich …« Er verstummte.
    »Was ist? Kit?«
    Ich merkte, dass er mich nicht länger ansah. Er schaute an mir vorbei oder durch mich hindurch, sah eine andere Zeit und einen anderen Ort. Er wandte sich von mir ab, als wollte er nicht, dass meine Anwesenheit seine Erinnerungen störte. Dann erkannte er wohl, was er getan hatte, denn er unternahm eine gewaltige Anstrengung, sich wieder in die Gegenwart zurückzubringen. Ich sah diesen Blick in seinen Augen, denselben Blick, den ich zehn Jahre später sah, im Januar, als ich ihn fragte, warum Bentley Grove 11 als Heimatort in seinem Navigationssystem gespeichert war: Schuld, Angst, Scham. Wie jemand, der ertappt worden war. Er versuchte, es mit einem Witz abzutun. »Das Zweitbeste, was mir je passiert ist«, korrigierte er sich rasch und errötete. »Das Beste bist du, Con.«
    »Wer war sie?«, fragte ich.
    »Niemand, das war nicht … Niemand.«
    »Hattest du keine Freundinnen an der Uni?«
    »Viele, aber nichts Wichtiges.«
    Eine Woche vorher hatte ich ihn gefragt, wie oft er vor mir schon verliebt gewesen sei. Er war der Frage ausgewichen, indem er Sachen sagte wie: »›Was genau meinst du mit verliebt sein‹ und ›Von welcher Art Liebe redest du‹?, während sein Blick im Raum herumirrte und sich weigerte, meinem zu begegnen.
    »Kit, ich habe dein Gesicht gesehen, als du eben sagtest, dass die Jahre in Cambridge die besten drei Jahre deines Lebens waren. Du hast dich an eine alte Liebe erinnert.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    Ich wusste, dass er log, oder nahm es zumindest an. Etwas in mir verdunkelte sich und erstarrte, und ich beschloss, gemein zu werden, was ich mühelos kann, wenn ich mich elend fühle. »Du hast also eben an Vorlesungen und Seminare gedacht, mit diesem wehmütigen Ausdruck im Gesicht? Hast du von den Noten geträumt, die du

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