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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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erneuertem Augen-Make-up, und fing an, mit manischer Munterkeit über Nachtisch und Vanillesauce zu reden. Der verrottete Kohlkopf wurde nicht wieder erwähnt.
    Zwei Stunden später, nach dem Nachtisch und dem Tee, konnten wir entkommen. So diplomatisch wie möglich wehrte Kit die Versuche meines Vaters ab, ihn zu überreden, den Wagen zu nehmen, obwohl Kit vier große Gläser Wein getrunken hatte. Er ließ sein Auto vor dem Haus stehen – natürlich, er stimme ganz mit meinem Vater überein, was das Autofahren in betrunkenem Zustand angehe, selbstredend, aber es gebe da schließlich noch die altmodische Verkehrspolizei –, und wir gingen zu Fuß nach Rawndesley zurück, was anderthalb Stunden in Anspruch nahm. Was wir kaum bemerkten, so beschäftigt waren wir damit, über meine Familie zu reden.
    »Fran hat deinen Vater ständig heftig kritisiert, und er hat überhaupt nicht reagiert«, sagte Kit, der gesprächig und lebhaft wurde, als wir unsere Freiheit zurückgewonnen hatten. »Er hat es nicht mal bemerkt. Es war zum Brüllen. Sie ist die Dorothy Parker des Culver Valleys. Wenn ich auch nur ein einziges Mal so mit meinem Vater sprechen würde, würde er mich enterben.« Zu dem Zeitpunkt war sein Verhältnis zu seinen Eltern noch einigermaßen.
    »Wer ist Dorothy Parker?«, fragte ich.
    Kit lachte. Offenbar nahm er an, dass das ein Witz sein sollte.
    »Nein, wirklich«, sagte ich. »Wer ist sie?«
    »Eine berühmte witzige Frau«, antwortete Kit. »›Wenn es um die Entsorgung verrottenden Gemüses geht, kommt niemand ihm gleich.‹ Genau die Worte, die Dorothy Parker benutzt haben würde. Dein Vater hat überhaupt nicht begriffen, dass Fran sich über ihn lustig gemacht hat, weil sein Lob für Anton nicht schwächer hätte ausfallen können: ›In einer Krise ist er unübertroffen‹. Sehr wahr, solange die Krise dadurch überwunden werden kann, dass jemand verrottete Nahrungsmittelreste in der Mülltonne entsorgt. Das war das einzige Mal, dass er Antons Anwesenheit heute überhaupt zur Kenntnis genommen hat. War wahrscheinlich zu beschäftigt damit, sich bei mir einzuschmeicheln. Kein Wunder, dass Fran sauer war.«
    »Ich bedaure das mit dem stinkenden Kohlkopf«, sagte ich feierlich, und wir bogen uns beide vor Lachen. Es war ein kalter Tag im Februar – der sich dem Ende zuneigte –, und es hatte angefangen zu regnen, was uns noch mehr zum Lachen brachte: dank meines Vaters und seines ganz besonderen Tropfens würden wir völlig durchnässt werden.
    »Es ist offensichtlich, warum der Künstler, der früher als Kohl bekannt war, deiner Mutter so an die Nieren gegangen ist.« Kit versuchte, eine ernsthafte Miene aufzusetzen.
    »Sie kann Verschwendung nicht ausstehen«, erklärte ich. »Das sind zwanzig Pence, die sie letztes Jahr hätte sparen können.«
    »Sie fühlte sich gedemütigt, weil es in meiner Gegenwart passiert ist. Hätte sie nur was gesagt, dann hätte ich sie beruhigen können. Fern sei es von mir, schlecht von jemandem zu denken, nur weil er widerliche verrottete Gemüsereste in einem …« Er konnte nicht weitersprechen, weil er zu heftig lachen musste.
    Als wir uns wieder gefasst hatten, sagte ich: »Das ist es nicht. Ja, es wird ihr peinlich gewesen sein, aber das war nicht der Grund für diesen eigenartigen Heulkrampf. Klar, der äußere Anschein ist ihr wichtig, aber Kontrolle ist ihr Gott. Sie arbeitet so hart daran, jeden Bereich ihres Lebens und ihrer Welt fest im Griff zu haben, und die meiste Zeit hat sie Erfolg damit. Die Zeit steht für sie still, die Welt schrumpft auf die Größe ihrer Küche zusammen, der Energiefluss des Universums wird gestoppt – er wird sich hüten, sich mit Val Monk anzulegen. Und dann plötzlich findet sie einen Kohlkopf, der seit Monaten in diesem Schrank liegt, wenn nicht seit Jahren – der ohne ihr Wissen ganz matschig, stinkig und schwarz geworden ist, und sie hatte keine Ahnung davon. Und eines Nachmittags, als sie Gäste hat, hat er einen unangekündigten Auftritt. Sie versucht, das Ganze hinter sich zu lassen und so zu tun, als würde es ihr nichts ausmachen, aber sie kommt nicht daran vorbei. Der Kohlkopf ist ein Beweis, den sie nicht ignorieren kann – der Beweis dafür, dass sie die Kontrolle verloren hat. Die Kräfte von Tod und Verfall sind auf dem Vormarsch, und sie sind diejenigen, die das Sagen haben. Sie sind mitten in ihrem Haus, und nicht einmal meine vernünftige, organisierte Mutter mit ihrem ›Rezept der Woche‹-Notizbuch und

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