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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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für deine Referate bekommen hast?«
    »Connie, das ist doch lächerlich.«
    »War sie deine Dozentin? Die Frau eines Dozenten? Die Frau des Rektors?«
    Kit leugnete und leugnete. Ich führte meine Inquisition den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung fort – war es ein Mann? War es eine Minderjährige, die fast sechzehnjährige Tochter des Rektors von King’s College? In dieser Nacht weigerte ich mich, gemeinsam mit Kit in einem Bett zu schlafen, machte ihm eine völlig würdelose Szene und drohte, unsere Beziehung zu beenden, wenn er mir nicht die Wahrheit sagte. Dann, als ich erkannte, dass er das nicht tun würde, schraubte ich meine Forderungen herunter. Er müsse mir nicht die Wahrheit sagen, aber er solle zugeben, dass es etwas gab, das er mir nicht sagen wollte. Ich wollte eine Bestätigung, dass ich nicht verrückt war, dass ich mir die leidenschaftliche Inbrunst, die ich in seinen Augen gesehen hatte, nicht eingebildet hatte, oder die Schuldgefühle. Schließlich räumte er ein, dass er eventuell ein wenig verlegen dreingeschaut haben könnte, aber nur aus Irritation über sich selbst, weil er so dumm gewesen war, mir den Eindruck zu vermitteln – einen falschen Eindruck, versicherte er mir –, dass seine Studienzeit ihm wichtiger sei als ich.
    Ich wollte ihm glauben. Ich beschloss, ihm zu glauben.
    Erst 2003, drei Jahre später, tauchte das Thema Cambridge wieder auf. Ich war zu Kit in seine Wohnung nach Rawndesley gezogen, und meine Mutter hatte begonnen »Hallo, Fremde!« zu zwitschern, wenn ich morgens zur Arbeit kam. Ich ignorierte sie und überließ es Fran, mich zu verteidigen: »Um Himmels willen, Mutti! Mit dem Auto braucht man fünfundzwanzig Minuten nach Rawndesley. Du siehst Connie doch jeden Tag.«
    Mein ganzes Leben hindurch hatte ich angenommen, dass meine Familie durch eine Krankheit heimgesucht worden war, die niemanden anderen befiel und deren Hauptsymptom ein extrem enger Horizont ist. Dann eines Tages, als wir zum Essen ausgehen wollten, stießen wir mit einem benachbarten Paar zusammen, Guy und Melanie. Damals arbeitete Kit noch bei Deloitte, und von Guy, einem Kollegen, hatte er den Tipp bekommen, dass im Haus eine Maisonette-Wohnung mit einem herrlichen Blick auf den Fluss frei geworden sei. Während die Männer sich über die Arbeit unterhielten, musterte Melanie mich von oben bis unten und fragte mich aus: Was ich so machte, ob mein Haar von Natur aus so dunkel sei, woher ich käme? Als ich sagte, aus Little Holling in Silsford, nickte sie, als hätte sie sich das fast gedacht. »Man kann hören, dass Sie nicht von hier sind«, sagte sie.
    Später, im Isola Bella, dem besseren der beiden Italiener in Rawndesley, sagte ich zu Kit, wie deprimierend ich Melanies Bemerkung fände. »Wie kann man jemanden aus Silsford als ›nicht von hier‹ betrachten, wenn man in Rawndesley wohnt?«, beklagte ich mich. »Die Leute hier im Culver Valley sind so provinziell. Ich dachte, nur meine Eltern wären so, aber das stimmt nicht. Sogar in Rawndesley, das doch angeblich eine Stadt sein soll …«
    »Es ist eine Stadt«, bemerkte Kit.
    »Keine richtige Stadt. Es ist nicht kosmopolitisch und turbulent wie London. Es hat keine … Atmosphäre. Die meisten Leute, die hier wohnen, haben es sich nicht ausgesucht. Entweder sie wurden hier geboren und besitzen nicht genug Fantasie, um von hier wegzugehen, oder sie sind wie ich – geboren in Spilling oder Silsford und so behütet und isoliert aufgewachsen, dass sie die Aussicht, in die dreißig Meilen entfernte Metropole Rawndesley zu ziehen, so aufregend finden, als würde es nach Manhattan gehen – jedenfalls so lange, bis sie dann hier sind. Oder die Leute ziehen her, weil sie keine Wahl haben, weil sie hier einen Job gekriegt haben –«
    »So wie ich, meinst du?« Kit grinste.
    Merkwürdigerweise hatte ich gar nicht an ihn gedacht. »Ja, warum bist du überhaupt hergezogen?«, fragte ich ihn. »Ausgerechnet von Cambridge – ich wette, das ist eine lebendige, spannende Stadt.« Es war das erste Mal seit unserem großen Streit, dass einer von uns Cambridge erwähnte.
    »Das ist es«, sagte Kit. »Und schön dazu, ganz im Gegensatz zu Rawndesley.«
    »Warum bist du dann von da weg, um ins stumpfsinnige Culver Valley zu ziehen?«
    »Wenn ich es nicht getan hätte, hätte ich dich nicht kennengelernt«, sagte Kit. »Connie, ich muss dich etwas fragen. Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, dass wir zum Italiener gehen.«
    Ich setzte mich aufrechter hin.

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