Das Fremde Mädchen
geduldig sammelte, um noch mehr und Schlimmeres zu sagen. »Ich liebte sie... und wurde geliebt.
Aber die Mutter... meine Werbung war nicht willkommen. Wir nahmen uns, was verboten war...«
Abermals ein langes Schweigen. Die bläulichen, eingefallenen Lider senkten sich einen Moment über die brennenden Augen. »Wir lagen beisammen«, sagte er etwas lauter. »Diese Sünde beichtete ich, nannte aber nie ihren Namen. Die Herrin warf mich hinaus. Verzweifelt kam ich hierher... um keinen weiteren Schaden anzurichten. Doch das Schlimmste sollte noch kommen.«
Der Abt drückte Haluins willenlose Hand und hielt sie fest.
Das Gesicht im Kissen war zu einer tönernen Maske erstarrt, ein anhaltender Schauer lief durch den zerschundenen, gequälten Körper, bis er gespannt war und sich eiskalt anfühlte.
»Ruht Euch aus!« sagte Radulfus dem Leidenden ins Ohr.
»Laßt Euch Zeit! Gott hat auch für Dinge Ohren, die nicht laut gesagt werden.«
Cadfael, der zusah, hatte das Gefühl, als antwortete Haluins Hand, so schwach sie auch war, mit einem kurzen Druck. Er holte den Trank aus Wein und Kräutern, mit dem er die Lippen des Bewußtlosen befeuchtet hatte, und tröpfelte ein wenig zwischen die leicht geöffneten Lippen. Nun wurde die Gabe angenommen, und die Sehnen im schlanken Hals mühten sich zu schlucken. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Was er sich auch von der Seele reden mußte, er hatte genug Zeit. Sie gaben ihm kleine Schlucke Wein und sahen zu, wie sich der Kalk seines Gesichts wieder in Fleisch verwandelte, bleich und schwach, wie es war. Nach einer Weile sprach er weiter, sehr leise und mit geschlossenen Augen.
»Vater...?« begann die leise Stimme ängstlich.
»Ich bin hier. Ich werde Euch nicht allein lassen.«
»Ihre Mutter kam... ich erfuhr erst von ihr, daß Bertrade ein Kind erwartete. Die Herrin hatte Angst vor dem Zorn ihres Mannes, wenn er heimkommen würde. Ich diente damals schon Bruder Cadfael, ich hatte gelernt... ich kannte die Kräuter... ich stahl einige und gab ihr... Ysop und Schwertlilien... Cadfael weiß sie besser z u verwenden!«
In der Tat, weit besser! Aber was in kleinen Dosierungen bei enger Brust und einem schlimmen Husten helfen konnte oder die Gelbsucht abwehrte, konnte auch eine Schwangerschaft beenden. Ein schlimmer Mißbrauch, von der Kirche verurteilt und für eine Frau, die kurz vor der Entbindung stand, sogar lebensgefährlich. Aus Furcht vor dem zornigen Vater, aus Angst, vor der Welt beschämt zu sein, aus Angst, weil die Heiratsaussichten dahin und die Familienehre beschmutzt war.
Hatte ihn die Mutter des Mädchens dazu aufgefordert, oder hatte er sie selbst überredet? Die Jahre der Reue und der Selbstkasteiung hatten ihm nicht die Schrecken nehmen können, die jetzt sein Fleisch zucken und sein Gesicht in einer Fratze erstarren ließen.
»Sie starben«, sagte er rasselnd und laut vor Schmerzen.
»Meine Liebste und das Kind, beide starben. Ihre Mutter schickte mir eine Nachricht – beide tot und begraben. Ein Fieber wäre es gewesen, so ließen sie verlauten. Gestorben am Fieber – nichts mehr zu befürchten. Meine Sünde, meine schreckliche Sünde... Gott weiß, daß es mir leid tut.«
»Wo wahre Reue ist«, erklärte Abt Radulfus, »wird sie von Gott erkannt. Nun, von diesem Kummer habt Ihr erzählt. Seid Ihr fertig, oder gibt es noch mehr zu berichten?«
»Ich bin fertig«, erwiderte Haluin, »aber ich muß noch um Vergebung bitten. Ich bitte Gott um Vergebung und Cadfael, weil ich sein Vertrauen und seine Kunst mißbrauchte. Und die Herrin von Hales für den Kummer, den ich ihr bereitete.« Nun, da es heraus war, hatte er seine Stimme und seine Worte besser unter Kontrolle. Die lähmende Spannung war von seiner Zunge gewichen, und so schwach seine Worte auch herauskamen, er hatte sich erklärt und alles berichtet.
»Ich will geläutert und in Vergebung sterben«, sagte er.
»Bruder Cadfael mag für sich selbst sprechen«, erklärte der Abt. »Für Gott will ich sprechen, wenn er es mir erlaubt.«
»Ich vergebe Euch«, sagte Cadfael, seine Worte mit mehr als der üblichen Umsicht wählend, »alle Vergehen, die Ihr euch unter großer Belastung gegen meine Kunst zuschulden kommen ließet. Und die Tatsache, daß die Mittel und das Wissen da waren, um Euch zu Dingen zu verleiten, die ich nicht abwenden konnte, das kann ich mir ebenso selbst wie Euch vorwerfen. Ich wünsche Euch Frieden.«
Was Abt Radulfus im Namen Gottes zu verkünden hatte, dauerte etwas
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