Das Fremde Mädchen
und sorgfältig, die Verbände von einem der verstümmelten Füße zu nehmen, um die Umschläge zu erneuern, wie er es die ganze Nacht und den Morgen über schon getan hatte.
»Aber ich muß doch für meine Taten büßen. Wie sonst könnte ich von meinen Sünden befreit werden?«
»Ihr habt die Beichte abgelegt«, erklärte Cadfael beschwichtigend. »Ihr habt die Absolution vom Vater Abt selbst bekommen. Hütet Euch, mehr zu verlangen.«
»Aber ich habe nicht gebüßt. Mit einer so leicht gewonnenen Absolution stehe ich immer noch als Schuldner da«, wandte Haluin ein.
Cadfael hatte den linken Fuß freigelegt, der stärker verstümmelt war als der rechte. Die oberflächlichen Schnitte und Wunden waren verheilt, aber was mit dem Labyrinth der kleinen Knochen im Innern geschehen war, konnte nicht mehr gerichtet werden. Sie waren zu einem unförmigen Klumpen zusammengepreßt, verbogen und zertrümmert, zu zornigem Rot und Purpur verfärbt. Doch die Haut darüber hatte sich geglättet und die tieferen Verletzungen verdeckt.
»Wenn Ihr glaubt, Ihr hättet noch Schulden«, meinte Cadfael freimütig, »dann werdet Ihr mit Euren Schmerzen bis zum Ende Eures Lebens dafür bezahlen. Seht Ihr es? Diesen Fuß werdet Ihr nie wieder fest auf den Boden setzen. Ich bezweifle, daß Ihr je wieder richtig laufen könnt.«
»Doch«, sagte Haluin, während er durch das schmale Fenster in den sich verdunkelnden Winterhimmel hinausblickte.
»Doch, ich werde wieder laufen. Das werde ich. Wenn Gott es erlaubt, dann werde ich wieder auf meinen eigenen Füßen laufen, und wenn ich mir Krücken leihen muß, die mich stützen.
Und wenn mir der Vater Abt die Erlaubnis gibt, dann will ich, sobald ich mich wieder bewegen kann, nach Hales gehen, Adelais de Clary um Vergebung bitten und eine Nacht an Bertrades Grab wachen.«
Cadfael war der Meinung, daß weder die Tote noch die Lebende nach achtzehn Jahren großen Trost in Haluins liebevoller Zuwendung finden würde. Doch wenn die fromme Absicht dem Mann Kraft und Entschlossenheit schenkte, zu leben, sich zu mühen und etwas Nützliches zu tun, warum ihn entmutigen? Deshalb sagte er nur:
»Nun, wir wollen zuerst alles in Ordnung bringen, was in Ordnung gebracht werden kann. Ihr müßt den Blutverlust ausgleichen, denn in dem Zustand, in dem Ihr jetzt seid, wird Euch niemand fortgehen lassen.« Als er dann den rechten Fuß betrachtete, der einem menschlichen Fuß noch entfernt ähnlich sah, fuhr er nachdenklich fort: »Vielleicht können wir Euch dicke, von innen gepolsterte Fellstiefel machen. Krücken werdet Ihr brauchen, aber so könnt Ihr wenigstens einen Fuß auf den Boden setzen. Heute nicht, und in den nächsten Wochen und vielleicht Monaten auch noch nicht. Aber wir werden Maß nehmen und sehen, was wir für Euch tun können.«
Später hielt Cadfael es für angebracht, Abt Radulfus zu berichten, welche Buße Bruder Haluin sich selbst auferlegen wollte, und so geschah es auch nach dem Kapitel in der Abgeschiedenheit des äbtlichen Sprechzimmers.
»Als die Last von seinem Herzen genommen war«, begann Cadfael, »hätte er zufrieden sterben können, wenn es sein Schicksal gewesen wäre. Aber er wird leben. Sein Bewußtsein ist klar, sein Wille ist stark, und auch wenn er abgemagert ist, sein Körper ist kräftig, und nun, da er noch viele Jahre vor sich sieht, ist er nicht damit zufrieden, für seine Sünden eine Absolution zu erhalten, die er sich nicht mit einer Buße verdient hat. Wenn er nicht so störrisch wäre, könnte man versuchen, ihm diesen Vorsatz auszureden, sobald er wieder genesen ist.
Ich für meinen Teil würde ihm keinen Vorwurf machen, wenn er darauf verzichtete, ganz im Gegenteil. Aber eine Absolution ohne Buße, damit ist Haluin nicht zufrieden. Ich will ihn zurückhalten, solange ich kann, aber glaubt mir, sobald er sich stark genug fühlt, es zu versuchen, werden wir wieder davon hören.«
»Einem so verständlichen Wunsch kann ich mich kaum verschließen«, erklärte der Abt vernünftig, »aber ich kann es verbieten, solange er nicht stark genug dafür ist. Wenn ihm die Reise seinen Seelenfrieden schenkt, dann habe ich nicht das Recht, ihm im Weg zu stehen. Vielleicht spendet er damit auch der unglücklichen Dame, deren Tochter so elend starb, einen verspäteten Trost. Dieses Anwesen in Hales«, fuhr Radulfus fort, während er über die geplante Pilgerfahrt nachdachte, »ist mir nicht bekannt, auch wenn ich den Namen de Clary schon einmal gehört habe. Wißt
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