Das Fremde Mädchen
sich, wenn Ihr mir folgen wollt. Laß den anderen Bruder ruhen, sagte sie, denn er ist sterbenskrank. Mut hat er, sonst wäre er auf diesen Füßen nicht so weit gekommen. Hier entlang, Bruder!«
Ihr Witwenhaus war in einer Ecke der Einfriedung errichtet worden, geschützt vor den schneidenden Winden, im Grunde klein, aber dennoch groß genug für die gelegentlichen Besuche auf dem Hof ihres Sohnes. Eine schmale Halle, eine Kammer und eine Küche waren dicht vor die Außenwand gebaut. Der Bursche schritt selbstbewußt durch die Halle, als sei er hier der Gebieter, und betrat den Raum seiner Herrin wie ein Sohn oder Bruder, vertrauend und als Vertrauter. Adelais de Clary wurde gut aber ohne Unterwürfigkeit bedient.
»Hier ist Bruder Cadfael aus Shrewsbury, Mylady. Der andere schläft.«
Adelais saß an einem Spinnrocken mit dunkelblauer Wolle und drehte die Spindel mit der linken Hand. Als die Männer eintraten, hörte sie mit ihrer Arbeit auf und klemmte die Spindel sorgfältig unter dem Fuß des Spinnrockens ein, damit sich das Garn nicht wieder abwickelte.
»Gut! Das soll er auch. Laß uns jetzt allein, Lothair. Unser Gast findet den Rückweg allein. Ist mein Sohn schon daheim?«
»Noch nicht. Ich werde nach ihm Ausschau halten.«
»Er hat Roscelin und die Hunde mitgenommen«, sagte sie.
»Wenn sie alle daheim und versorgt sind, kannst du dich auch zur Ruhe begeben.«
Er nickte nur und ging schweigend und unaufdringlich hinaus.
Ihr Wortwechsel hatte eine unerschütterliche Sicherheit verraten, fest gefügt und tragfähig wie Fels. Adelais begann erst zu sprechen, als ihr Diener den Raum verlassen und die Tür geschlossen hatte. Sie betrachtete Cadfael schweigend und aufmerksam und lächelte leicht.
»Ja«, sagte sie, als hätte er gefragt, »er ist mehr als ein alter Diener. Er war all die Jahre in Palästina bei meinem Mann.
Mehr als einmal tat er Betrand den nicht kleinen Gefallen, ihm das Leben zu retten. Das ist eine ganz andere Art von Verbundenheit als die zwischen Herr und Diener. Ich habe geerbt, was mein Herr vor mir genießen konnte. Lothair heißt er, sein Sohn heißt Luc, sie stammen aus der gleichen Familie, Ihr habt die Ähnlichkeit ja gesehen.«
»Ich habe sie bemerkt«, sagte Cadfael, »und ich sah sofort, wo Lothair seine Kupferhaut bekommen hat.«
»Wirklich?« Sie musterte ihn jetzt mit stärkerem Interesse, machte sich zum erstenmal die Mühe, ihn wirklich zu betrachten.
»Ich verbrachte vor dem Eintritt ins Kloster selbst einige Jahre im Osten. Wenn er alt genug wird, verblaßt sein Braun wie das meine, aber es dauert sehr lange.«
»Ah! Also wurdet Ihr nicht schon als Kind zu den Mönchen gegeben. Ihr habt mir auch nicht unbedingt nach kindlicher Unschuld ausgesehen«, meinte Adelais.
»Ich trat aus freiem Willen ein«, sagte Cadfael, »als meine Zeit gekommen war.«
»Das tat Haluin auch – er trat aus eigenem Willen ein, selbst wenn ich glaube, daß es nicht die richtige Zeit war.« Sie machte eine unbestimmte Geste und seufzte. »Ich habe nur nach Euch schicken lassen, um zu fragen, ob Ihr alles habt und ob meine Männer sich, wie es sich gehört, um Euch gekümmert haben.«
»Ausgezeichnet haben sie uns versorgt, und wir sind Euch für Eure Freundlichkeit zu Dank verpflichtet.«
»Ich würde gern etwas über Haluin erfahren. Ich habe gesehen, in welch traurigem Zustand er sich befindet. Wird es ihm je wieder besser gehen?«
»Er wird nie wieder laufen können wie früher«, erklärte Cadfael, »aber wenn seine Sehnen mit der Zeit stärker werden, wird er es etwas leichter haben. Er glaubte, er müßte sterben, wir alle glaubten es, aber er überlebte und wird noch viel Gutes im Leben finden, sobald seine Seele ihren Frieden hat.«
»Wird dieser Friede nach der kommenden Nacht beginnen?
Ist es das, was er braucht?«
»Ich glaube schon, ich glaube, so ist es.«
»Dann hat er meinen Segen. Und dann werdet Ihr mit ihm nach Shrewsbury zurückkehren? Ich kann Euch für den Rückweg Pferde geben. Lothair kann sie nach Hales holen, wenn wir zurückgekehrt sind.«
»Diese Freundlichkeit wird er sicher zurückweisen«, erklärte Cadfael. »Er hat geschworen, seinen Bußgang zu Fuß zu unternehmen.«
Sie nickte verständnisvoll. »Ich will ihn dennoch fragen. Nun, das war alles, Bruder. Wenn er nicht annimmt, dann kann ich nichts weiter tun. Doch halt, eines kann ich noch tun! Wenn ich heute abend zur Vesper gehe, will ich mit dem Priester sprechen und dafür sorgen, daß
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