Das Fremde Mädchen
dem ersten de Clary herübergekommen war.
Der Körperbau seiner Väter war noch zu erkennen, auch wenn die Heiraten mit englischen Frauen das Haar zu einer mittelblonden Farbe verdunkelt und die sonst fast brutalen Knochen der Normannen etwas geglättet hatten. Das Haar trug er nach Art der Normannen kurz geschnitten wie eine Kappe, das kräftige Kinn war glatt rasiert, und er hatte die hellen, strahlenden aber undurchdringlichen Augen der Leute aus dem Norden. Als sie kamen, richtete er sich sofort mit fließenden Bewegungen auf. »Meine Herrin schickt mich, Euch zu begleiten.« Seine Stimme war flach, die Worte kamen abgehackt. Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern ging vor ihnen zum Kirchhof hinaus. Dabei legte er ein Tempo vor, das Haluin nicht halten konnte. Am Tor blickte der Bursche zurück und wartete, danach ging er langsamer weiter, obwohl es ihm offensichtlich Mühe bereitete, seinen Schritt zu zügeln. Von sich aus sprach er kein Wort und antwortete auf Fragen oder höfliche Bemerkungen freundlich aber knapp. Ja, Elford war ein schönes Anwesen, gutes Land und ein guter Herr. Audemar, erklärte er leidenschaftslos, wußte das Gut zu regieren. Der Bursche schien eher Adelais als ihrem Sohn verpflichtet. Ja, sein Vater stand auch in Diensten der Familie, genau wie der Vater seines Vaters. Wenn er neugierig auf die Mönche war, dann zeigte er seine Neugierde nicht. Die hellgrauen, fremdartigen Augen verbargen seine Gedanken, falls er überhaupt einen Gedanken auf sie verschwendete.
Er führte sie über einen mit Gras bewachsenen Weg zum Tor der Einfriedung, die das Haupthaus schützte. Audemar de Clarys Haus stand breit inmitten des Hofes. Der Wohnbereich war über ein steinernes Fundament gebaut, und nach den hohen kleinen Fenstern zu urteilen, gab es über der Kemenate noch mindestens zwei weitere Zimmer. Rundherum waren weitere Wohngebäude errichtet, dazu die Ställe, die Waffenkammer, das Backhaus und das Brauhaus, die Lager und Werkstätten, und überall waren die Aktivitäten eines großen, geschäftigen Haushalts zu sehen.
Vor einem kleinen Holzhaus am Zaun blieb der Bursche stehen.
»Meine Herrin ließ diese Kammer für Euch vorbereiten. Ihr sollt Euch wie zu Hause fühlen, sagte sie, und der Türhüter hat Anweisung, Euch nach Belieben kommen und gehen zu lassen, damit Ihr die Kirche besuchen könnt.«
Ihre Gastfreundschaft war gewissenhaft aber distanziert und unpersönlich. Sie hatte Wasser zum Waschen und bequeme Lager vorbereiten lassen, sie hatte Essen von ihrem eigenen Tisch geschickt und ließ fragen, ob die Mönche sonst noch etwas brauchten oder ob sie etwas vergessen habe, doch sie beehrte sie nicht mit ihrer Gegenwart. Vielleicht reichte ihre Vergebung doch nicht so weit, daß sie den bereuenden Haluin in ihrer Nähe hätte dulden können. Auch warteten ihnen nicht die Diener des Hauses auf, sondern die beiden Burschen, mit denen sie aus Hales hergeritten war. Der ältere der beiden brachte ihnen Fleisch, Brot und Käse und Dünnbier aus der Küche. Cadfael erkannte sofort, in welchem Verhältnis die beiden Männer standen. Dieser hier war sicherlich der Vater des anderen, ein zäher, vierschrötiger Kerl von etwa fünfzig Jahren, wortkarg wie sein Sohn, in den Schultern etwas breiter und mit krummen Beinen, nachdem er bald mehr Jahre auf dem Pferderücken als auf seinen eigenen Füßen verbracht hatte. Er hatte die gleichen kalten, undurchdringlichen Augen wie sein Sohn, die gleichen kühnen und blank rasierten Wangenknochen, doch seine Haut zeigte eine dauerhafte, tiefe Bräune, die, das wußte Cadfael aus eigener Erfahrung, in England nicht entstehen konnte. Sein Herr war Kreuzfahrer gewesen, und dieser Mann hatte ihn sicher ins Heilige Land begleitet: dort unter der grimmigen, heißen Sonne war ihm die Bräune in die Gesichtshaut eingebrannt worden.
Der ältere Bursche kam am Nachmittag noch einmal zu ihnen. Nicht für Haluin, sondern für Cadfael hatte er eine Nachricht. Haluin war auf seiner Matte eingeschlafen, und der Mann, der leise und geschmeidig eintrat wie eine Katze auf der Pirsch, weckte ihn nicht. Cadfael war ihm dafür dankbar. Sie hatten eine lange Nacht ohne Schlaf vor sich. Er winkte dem Burschen, einen Augenblick zu warten, und ging, nachdem er die Türe geschlossen hatte, zu ihm in den Hof hinaus.
»Laßt ihn liegen, er muß später noch wachen.«
»Meine Herrin erzählte uns, wie er die Nacht verbringen will«, sagte der Bursche. »Sie bittet Euch zu
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