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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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wenn Ihr schon in der Nacht auf den Steinen Euer Fleisch peinigen müßt.«
    »Dann darf ich hier die Nacht im Gebet verbringen?« fragte Haluin begierig.
    »Warum nicht? Habt Ihr nicht gerade von Gott für mich dasselbe wie für Euch erbeten?« sagte sie. »Ich sehe, daß Ihr gebrochen seid. Ich will Euch nicht verdammen. Ja, Ihr sollt Eure nächtliche Buße bekommen, aber zuerst sollt Ihr in meinem Haus etwas essen. Ich schicke meine Burschen, die Euch begleiten können, nachdem Ihr hier Eure Gebete gesprochen habt.«
    Sie war schon fast zur Tür hinaus und achtete nicht auf Haluins stockende Dankesworte, ließ ihm nicht die Chance, ihre Gastfreundschaft auszuschlagen. Dann aber blieb sie plötzlich stehen und drehte sich noch einmal zu ihnen um.
    »Aber sagt über Euer Tun hier kein Wort«, meinte sie ernst, »zu irgend jemand sonst. Der Name und das Ansehen meiner Tochter sind ohne Makel, also laßt sie in Frieden unter dem Stein hier ruhen. Ich will nicht, daß ein anderer erinnert wird, wie ich erinnert wurde. Es soll zwischen uns beiden und diesem guten Bruder bleiben, der Euch begleitet.«
    »Mylady«, sagte Haluin ergeben, »zu niemand wollen wir sprechen außer unter uns dreien, weder jetzt noch zu einer anderen Zeit, weder hier noch an einem anderen Ort.«
    »Ihr nehmt mir einen Stein vom Herzen«, erklärte sie, ging hinaus und zog hinter sich leise die Türe zu.
    Haluin konnte ohne Stütze, an der er sich festhalten konnte, nicht knien. Cadfael mußte den Arm um ihn legen, während Haluin sich vorsichtig niederließ, um den einzigen noch brauchbaren Fuß zu entlasten. Sie sprachen Seite an Seite ihre Gebete am Altar. Cadfael ließ die Augen geöffnet und betrachtete, als Haluin schon lange kniete, mit einiger Sorge die Falten im Gesicht des jungen Mannes. Er hatte die mühsame Fußreise überstanden, aber er hatte einen hohen Preis dafür bezahlt. Die Nacht auf den Steinen würde kalt werden, eine lange und peinigende Nacht, aber Haluin würde darauf bestehen, sich selbst mit äußerster Härte zu bestrafen. Und danach hatten sie noch den langen Rückweg vor sich. Vielleicht konnte ihn die Herrin überreden, noch eine zweite Nacht zu bleiben, und sei es nur als Zugeständnis und freundliche Geste ihr gegenüber, da beide nun in gewisser Weise mit ihrer gemeinsamen, unglücklichen Vergangenheit abgeschlossen hatten.
    Es war durchaus möglich, daß Haluins überraschender Besuch sie auf eine ganz eigene Pilgerschaft geschickt hatte, war sie doch stehenden Fußes herbeigeeilt, um sich mit ihrem Anteil an der alten Tragödie zu konfrontieren. In scharfem Trab war sie an der Hütte des Waldbauern nahe Chenet vorbeigeritten, mit nur einem Mädchen und zwei Burschen im Gefolge, und hatte in Cadfaels Gedächtnis einen Funken entzündet. Es war nicht ausgeschlossen, aber warum hatte sie sich so beeilt? Cadfael sah abermals die beiden doppelt beladenen Pferde, die am frühen Morgen gleichmäßig und zielstrebig vorbeigetrabt waren. In aller Eile, um eine halb vergessene Schuld zu begleichen? Oder um einem anderen zuvorzukommen und für seine Ankunft gewappnet und bereit zu sein? Sie hatte seine Bitte erfüllt und wollte ihn rasch wieder loswerden, aber das war verständlich. Sie hatten ihren Frieden gebrochen und ihr einen alten, fleckigen Spiegel vors schöne Gesicht gehalten.
    »Helft mir auf!« sagte Haluin und hob die Arme wie ein Kind, das auf die Füße gehoben werden will. Es war das erste Mal, daß er offen um Hilfe bat. Was ihm zuvor an Hilfe angeboten worden war, hatte er eher demütig und resigniert als dankbar angenommen.
    »Ihr habt die ganze Zeit kein Wort gesagt«, meinte er plötzlich verwundert, als sie sich zur Kirchentür wandten.
    »Ich brauchte kein Wort zu sprechen«, erwiderte Cadfael.
    »Aber ich hörte viele Worte, und selbst das Schweigen zwischen den Worten sagte mir etwas.«
    Adelais de Clarys Bursche erwartete sie bereits im Vorraum, wie sie versprochen hatte. Er lehnte lässig in der Türe, als hätte er schon eine Weile gewartet, doch er zeigte keine Ungeduld.
    Seine Erscheinung bestätigte, was Bruder Cadfael sich schon zurechtgelegt hatte, nachdem er die Reiter ein paar Augenblicke durch die Bäume gesehen hatte. Dieser hier, der jüngere der beiden, war ein kräftiger junger Mann von etwa dreißig Jahren, schwer gebaut und mit einem Stiernacken, unverkennbar von normannischer Abstammung. Vielleicht die dritte oder vierte Generation, Nachkomme eines Ahnen, der als Bewaffneter mit

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