Das Fremde Mädchen
kein Wunder, daß Adelais mit aller Vorsicht und möglichst elegant Haluin Gelegenheit zu seiner Buße gab und danach trachtete, ihn so rasch wie möglich wieder loszuwerden. Sie wollte allen Nachfragen, selbst vom Priester, aus dem Wege gehen und hatte ihnen sogar Pferde angeboten, nur damit sie schnell wieder verschwanden. Und sie hatte die beiden Pilger gebeten, mit niemand über die Vergangenheit zu sprechen und keinesfalls den Namen Bertrades fallenzulassen.
Allmählich, dachte Cadfael, beginne ich zu verstehen. Wo immer wir auftauchen, steht Adelais zwischen uns und allen anderen. Sie beherbergt uns, sie speist uns, sie schickt uns ihre treuesten Diener, die uns aufwarten, nicht etwa Helfer aus dem Haushalt ihres Sohnes. Der Name und das Ansehen meiner Tochter sind ohne Makel, also laßt sie in Frieden unter dem Stein hier ruhen, hatte sie gesagt. Kein Wunder, daß sie dafür sorgen wollte, daß es auch so blieb, kein Wunder, daß sie in aller Eile nach Elford geritten war, um vor ihnen einzutreffen und bereit zu sein.
Wenn Haluin morgen früh dazu in der Lage ist, werden wir tatsächlich sofort aufbrechen, damit sie ihren Frieden findet. Wir können ein oder zwei Meilen entfernt Rast machen, wenn es nötig wird, aber wir müssen um jeden Preis diese Mauern hier verlassen, und dann kann sie Haluin vergessen und braucht ihn nie wiederzusehen.
Der junge Knappe war zurückgeblieben, als sein Herr zur Türe seiner Mutter hinüberging, Audemars Mantel über die Schultern geworfen, der bloße Kopf flachsblond vor dem dunklen Tuch. Er hatte noch das unschuldige, klare Gesicht der Jugend. In ein oder zwei Jahren würde der schlanke Bursche zu einem kräftigen, wohlgestalteten Mann heranwachsen, doch im Augenblick zeigte er noch die verletzliche Unsicherheit eines Knaben. Er sah Audemar überrascht und verwundert nach, starrte Cadfael mit unverhohlener Neugierde an und wandte sich schließlich langsam zu Audemars Haus um.
Das war also Roscelin, den Adelais erwähnt hatte, dachte Cadfael, während er ihm nachsah. Nach Aussehen und Hautfarbe kein Sohn des Hauses, aber auch kein Diener.
Zweifellos der Sohn eines Pächters, zu seinem Herrn geschickt, um im Gebrauch der Waffen unterwiesen zu werden, um die Fertigkeiten und Dinge zu lernen, die man an einem kleinen Adelshof brauchte und um auf die große Welt vorbereitet zu werden. Solche Schüler gab es in jedem großen Anwesen, und so mochte es auch auf dem Gebiet der de Clarys ein oder zwei von dieser Sorte geben.
Schon früh am Abend wurde es kalt, und ein schneidender Wind erhob sich, der feine Eisnadeln mit sich brachte. Die Stunde der Vesper war fast gekommen, und Cadfael floh rasch vor der Kälte ins Haus. Bruder Haluin war bereits erwacht und wartete schweigend und gespannt auf die Stunde seiner Erfüllung.
Adelais hatte offensichtlich alles gründlich vorbereitet.
Niemand störte sie in ihrer Abgeschiedenheit, niemand stellte Fragen, niemand begegnete ihnen mit Neugierde. Der junge Bursche Luc brachte ihnen vor der Vesper noch etwas zu essen, und nach dem Gottesdienst blieben sie allein in der Kirche zurück und konnten ihre Nachtwache beginnen. Es war zu bezweifeln, daß sich überhaupt jemand im Haus Gedanken über sie machte, denn man war hier an ganz unterschiedliche Besucher mit ebenso unterschiedlichen Bedürfnissen gewöhnt, und die Andacht zweier zufällig hereingeschneiter Benediktiner war beileibe keine Sensation. Wenn zwei Mönche aus der Abtei von St. Peter und St. Paul auf die Idee kamen, in einer Kirche von St. Peter eine Nacht im Gebet zu verbringen, dann war dies nichts Ungewöhnliches, und jedenfalls ging es niemand etwas an.
Also bekam Haluin seinen Willen und konnte sein Gelübde erfüllen. Er wollte keine weiche Unterlage auf dem Stein haben, er wollte keinen zusätzlichen Mantel, um die Kälte der Nacht abzuwehren, er wollte nichts annehmen, was die Härte seiner Buße gemildert hätte. Cadfael half ihm, sich unmittelbar vor dem Grab auf die Knie niederzulassen. Falls er schwach oder benommen wurde, konnte er sich wenigstens am Stein festhalten und seinen Sturz abfangen. Die Krücken wurden am Fußende des Steins abgelegt. Haluin ließ nicht zu, daß sonst noch irgend etwas für ihn getan wurde. Cadfael kniete sich neben ihn, ein wenig abseits im Schatten, um ihn mit seiner toten Bertrade und einem Gott allein zu lassen, der ihm zweifellos ein wohlwollendes Ohr schenken würde.
Es war eine lange, kalte Nacht. Die Altarlampe war wie ein
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