Das Fremde Mädchen
Halbdunkel, das alle aus Stein gebauten Kirchen an sich haben. Es roch leicht nach Staub und Wachskerzen und stark und beruhigend nach der Heimat, die sie beide für sich gewählt hatten.
Haluin hielt im gekachelten Mittelgang des Kirchenschiffes inne, um sich zu orientieren. Es gab hier keine Kapelle der Jungfrau Maria, in der zwischen den Altären Platz für die Gruft des Stifters war. Die Herren von Elford mußten an der Seite liegen, begraben in den Steinen der Mauern, die sie erbaut hatten. Das rote Auge einer Altarlampe zeigte ihnen, wo die Gruft lag. Es war eine große Steinplatte, in einer Nische vor der rechten Wand. Ein toter de Clary, vielleicht der erste, der mit König William herübergekommen und später belohnt worden war, schlief in Stein gehauen auf der Deckplatte. Haluin wollte hinüber, doch dann hielt er sich zurück, nachdem er einen hallenden Schritt getan hatte. Neben dem Grab kniete eine Frau. Sie sahen sie nur als Schattenriß, denn der Mantel, den sie trug, war in diesem trüben Licht grau wie der Stein. Da die Kapuze des Mantels zurückgeworfen war, konnten sie sie an der weißen Leinenhaube und am Gazeschleier über dem Haar als Frau erkennen. Sie wollten sich in den Vorraum zurückziehen, um die Frau in Frieden beten zu lassen, doch sie hatte den Aufprall der Krücken auf den Kacheln gehört und wandte sich abrupt zu ihnen um. Mit einer einzigen anmutigen, raschen Bewegung stand sie auf, kam ihnen entgegen und trat ins Licht eines Fensters. Sie erkannten das Stolze, gealterte aber immer noch schöne Antlitz der Adelais de Clary.
5. Kapitel
»Ihr?« rief sie, starrte die Mönche an und blickte erschrocken von einem zum andern, doch ihre Stimme klang neutral, weder willkommen heißend noch ablehnend. »Ich hätte nicht damit gerechnet, Euch so bald schon wiederzusehen. Habt Ihr noch etwas von mir zu erbitten, Haluin, daß Ihr mir gefolgt seid? Ich sagte Euch bereits, daß ich Euch verzeihe.«
»Mylady«, sagte Haluin, erschüttert und zitternd, da er seine frühere Herrin an diesem unerwarteten Ort wiedersah, »wir sind Euch nicht gefolgt. Ich habe keinen Augenblick daran gedacht, Euch hier wiederzusehen. Für Eure Vergebung bin ich dankbar, und ich hatte um keinen Preis die Absicht, Euch weitere Ungelegenheiten zu bereiten. Ich bin hergekommen, um ein Gelübde zu erfüllen, das ich ablegte. Ich wollte in Hales eine Nacht im Gebet verbringen, weil ich glaubte, daß Ihr Eure Tochter dort beerdigt habt. Doch dann erfuhren wir vom Priester, daß dem nicht so ist. Hier in Elford liegt sie, in der Gruft ihrer Vorfahren. Deshalb kam auch ich hierher. Alles, was ich von Euch jetzt noch zu erbitten habe, ist Eure Erlaubnis, in der kommenden Nacht hier Nachtwache halten zu dürfen, um zu vollbringen, was ich geschworen habe. Dann werden wir abreisen, und ich werde Euch nicht mehr in Anspruch nehmen.«
»Ich kann nicht leugnen«, gab sie, allerdings in etwas sanfterem Ton, zurück, »daß ich froh sein werde, wenn Ihr wieder fort seid. Es richtet sich nicht gegen Euch selbst, aber die Wunde, die Ihr in mir wieder aufgerissen habt, würde ich gern vergessen, bis sie verheilt ist. Euer Gesicht ist wie ein Gift, das sie aufreißt und die Blutung wieder beginnen läßt. Glaubt Ihr, ich hätte ein Pferd genommen und wäre so schnell hergeritten, wenn Ihr nicht den alten Kummer in meiner Seele wieder aufgerührt hättet?«
»Ich vertraue darauf, Mylady«, sagte Haluin mit leiser, bebender Stimme, »daß Ihr, wie ich es für mich selbst hoffe, durch diese Buße Eure Wunde von allen Schwären befreit finden werdet. Ich bete darum, daß dieses Mal Eure Heilung angenehm und zu Eurem Besten verlaufen wird.«
»Und für Euch selbst?« fragte sie scharf zurück und wandte sich ein wenig von ihm ab, während sie eine Handbewegung machte, die jeden Widerspruch im Keime erstickte. »Angenehm und zu meinem Besten! Ihr erwartet viel von Gott und noch mehr von mir.« Im schräg aus den Fenstern einfallenden Licht war ihr Gesicht grimmig und traurig zugleich. »Ihr habt gelernt, wie ein richtiger Mönch mit Worten umzugehen«, sagte sie.
»Nun, es ist lange her! Eure Stimme war damals unbeschwerter, genau wie Euer Schritt. Eins will ich Euch sagen, Eure Anwesenheit hier kommt mich teuer zu stehen.
Aber schlagt nicht meine Gastfreundschaft aus, wenn ich Euch dieses Mal ein Nachtlager und eine Mahlzeit anbiete. Ich habe hier auf dem Anwesen meines Sohnes ein eigenes Haus.
Kommt mit mir und ruht bis zur Vesper,
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