Das Fremde Mädchen
erstreckte sich die leicht gewellte Landschaft. Cadfael sah Felder und Büsche und kaum mit Bäumen bestandenes Hochland, die Weiden noch gebleicht und getrocknet vom Winter, und an den schwarzen Ästen waren hier und dort schon die ersten Knoten der neuen Frühlingstriebe zu sehen. In Senken und an geschützten Orten lagen noch Reste von Schnee, doch ein Sonnenstrahl brach bereits durch die niedrige Wolkendecke, und bis Mittag wären alle Überbleibsel der letzten Schneefälle verschwunden.
Cadfael sah sich als nächstes in den Ställen und im Hundezwinger um und fand auch diese von Dienern, die den interessierten Besucher bereitwillig und stolz herumführten, gut versorgt. In einem abgetrennten Stall des Hundezwingers lag eine Hündin mit sechs Welpen, die höchstens fünf Wochen alt waren. Er konnte nicht widerstehen, ins Halbdunkel zu treten und ein Junges aufzuheben, und die Hündin zeigte sich freundlich und schien erfreut über die Bewunderung, die er ihren Nachkommen zollte. Der warme kleine Körper in seiner Hand roch wie frisches Brot. Er wollte sich gerade bücken und den Welpen zu seinen Geschwistern zurücklegen, als er hinter sich eine klare, kühle Stimme hörte:
»Seid Ihr der Priester, der mich verheiraten wird?«
Und da stand sie in der Tür, abermals ein Schattenriß vor dem Licht, so gefaßt und so selbstsicher, daß man sie ohne weiteres für eine reife, stattliche Frau von dreißig Jahren hätte halten können, wenn auch die frische, muntere Stimme ihr wirkliches Alter verriet. Helisende Vivers war es, noch nicht herausgeputzt, um ihren Bräutigam zu empfangen, sondern wie eine Hausfrau in dunkelblaue Wolle gekleidet und mit einem dampfenden Eimer mit Fleisch und Getreide für die Hunde in der Hand.
»Seid Ihr der Priester, der mich verheiraten soll?«
»Nein«, erwiderte Cadfael, während er sich langsam von den wimmelnden Welpen und der lockenden Hündin abwandte.
»Bruder Haluin wird Euch trauen. Ich habe mich nie um die Weihen bemüht, das wäre nichts für mich.«
»Der Lahme ist es also«, sagte sie mit distanziertem Mitgefühl. »Es tut mir leid, daß er es so schwer hat. Ich hoffe, man hat ihn hier in unserem Haus bequem untergebracht. Wißt Ihr von meiner Heirat? Wißt Ihr, daß Jean heute kommen soll?«
»Euer Bruder hat es uns erzählt«, sagte Cadfael, während er das ovale Gesicht beobachtete, das sich allmählich aus den Schatten herausschälte und mit jeder klagenden, traurigen Linie ihre Jugend verriet. »Aber es gibt Dinge, die er uns nicht sagen konnte«, fuhr er fort, während er sie unverwandt beobachtete, »außer vom Hörensagen. Nur Ihr selbst könnt uns sagen, ob diese Verbindung Eure Zustimmung findet, die aus freiem Willen gegeben wurde, oder nicht.«
Ihr kurzes Schweigen ließ nicht etwa auf Zweifel in der Sache selbst schließen, sondern zeigte nur, daß sie den Mann, der die Frage gestellt hatte, einer eingehenden Prüfung unterzog. Ihre großen, aufrichtig blickenden Augen schienen in Cadfael einzudringen und zeigten keine Angst, als Cadfael in sie eindrang. Wenn sie ihn als feindlich oder als einen betrachtet hätte, der zu ihrem Unglück beitrug, dann wäre die Begegnung höflich beendet worden, ohne auf die in diesem Falle aufdringliche Neugierde einzugehen. Doch sie blieb.
»Soweit wir, wenn wir erwachsen sind, überhaupt etwas freiwillig tun können«, sagte sie, »dann muß ich sagen, ja, ich tue es freiwillig. Es gibt Regeln, an die man sich halten muß. Es gibt andere in der Welt, die uns gegenüber Rechte und Bedürfnisse haben, und wir sind alle gebunden. Ihr könnt Bruder Haluin ausrichten – Vater Haluin muß ich ihn ja nennen –, daß er sich meinetwegen nicht zu sorgen braucht. Ich weiß, was ich tue. Niemand zwingt mich.«
»Das will ich ihm sagen«, erwiderte Cadfael. »Aber ich glaube, Ihr tut es für einen anderen und nicht für Euch selbst.«
»Dann sagt ihm, daß ich mich freiwillig entschloß, es für andere zu tun.«
»Und was ist mit Jean de Perronet?« fragte Cadfael.
Einen Moment bebten ihre festen, vollen Lippen. Das einzige, was ihre Entschlossenheit und ihre Fassung störte, war das Wissen, daß sie gegenüber dem Mann, der ihr Ehemann werden sollte, nicht ganz offen war. Cenred hatte dem jungen Mann sicher nicht gesagt, daß er nur eine traurige Erinnerung an das bekam, was sein Herz begehrte. Auch sie selbst konnte es ihm nicht sagen, es war ein Geheimnis der Familie. Die einzige Hoffnung für das unglückliche Paar war,
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