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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Jahre, und auch eine tiefe Wunde kann heilen.«
    Seine tiefe Unruhe und seine Sorgen machten ihn beredt. Ein guter Mann, der sich für das Wohl aller Menschen in seinem Haus einsetzte. Er hatte nicht wie Cadfael bemerkt, daß Haluins schmales Gesicht allmählich immer bleicher geworden war. Haluin preßte die Lippen schmerzlich zusammen und rang die Hände im Schoß seiner Kutte, bis die Knochen weiß durch die Haut schienen. Die Worte, die Cenred eher zufällig gewählt hatte, öffneten genau die alte Wunde, die zu heilen er einen so weiten Weg gegangen war. Die Linien eines vertrauten Gesichts, in achtzehn Jahren sicherlich etwas verblaßt, wurden nun für ihn wieder lebendig. Wunden, die noch schwären, können erst heilen, wenn sie ganz aufgebrochen und gereinigt sind, und wenn es sein muß, durch Feuer.
    »Und Ihr sollt nicht fürchten«, fuhr Cenred fort, »wie ich es auch nicht fürchte, daß sie bei de Perronet nicht verehrt und geachtet würde. Vor zwei Jahren schon hielt er um ihre Hand an, und auch wenn sie weder ihn noch einen anderen Freier haben wollte, er hat gewartet.«
    »Eure Frau ist einverstanden?« fragte Cadfael.
    »Wir haben zu dritt darüber gesprochen. Und wir waren einer Meinung. Wollt Ihr es tun? Ich empfand es fast als Segen für unsere Absichten«, sagte Cenred einfach, »daß am Abend, bevor der Bräutigam eintrifft, ein Priester ungerufen zu mir kommt. Bleibt noch bis morgen, Bruder – Vater! – und verheiratet sie.«
    Haluin löste langsam seine verkrampften Hände und holte Luft wie ein Mann, der große Schmerzen hat. Mit leiser Stimme sagte er: »Ich will bleiben, und ich will sie verheiraten.«
    »Ich hoffe, das war richtig«, sagte Haluin, als sie wieder in ihrer Kammer waren. Aber anscheinend wollte er nicht in seiner Entscheidung bestätigt werden, sondern hielt sie sich nur als Verantwortung vor Augen, die er weder teilen noch abgeben konnte. »Ich weiß nur zu gut«, sagte er, »um die Übel, die zu große Nähe mit sich bringen kann, und dieser Fall ist noch verzweifelter, als meiner es je war. Cadfael, ich höre Stimmen, die ich schon vor langer Zeit verklungen glaubte. Es muß einen Sinn haben, nichts geschieht ohne Sinn. Vielleicht bin ich nur gestürzt, um zu sehen, wie tief ich schon gefallen war? Damit ich gezwungen bin, mich mit neuer Kraft zu erheben? Wie, wenn ich als Krüppel wiedergeboren wurde, um diese Reise in Körper und Geist zu unternehmen, vor der ich mich fürchtete, als ich noch stark und gesund war? Wie, wenn Gott mir die Gedanken an diese Pilgerschaft eingab, um einer anderen Seele zu Hilfe zu kommen? Wurden wir an diesen Ort geführt?«
    »Eher getrieben«, meinte Cadfael trocken, als er sich an den blendenden Schnee und den kleinen Funken der Fackel im Dunkel erinnerte.
    »Es ist wahr, am Abend bevor der Bräutigam kommt, in diesem Haus einzutreffen, das ist mehr als ein Zufall. Ich kann nichts tun, als mich diesem Fingerzeig zu fügen«, sagte Haluin, »und zu hoffen, daß er mich in die richtige Richtung führt. Diese zweiten Ehen in hohem Alter, Cadfael, sie bringen allen Beteiligten nur Kummer. Wie können zwei Kinder, die in der Halle auf dem Boden zusammen spielen, wissen, daß sie Tante und Neffe und einander verboten sind? Eine Schande, wenn Liebe sinnlos vergeudet wird.«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte Cadfael, »ob Liebe überhaupt sinnlos vergeudet werden kann. Nun, wenigstens könnt Ihr jetzt noch ein oder zwei Tage ruhen, und das wird nicht schaden.
    Dies kommt auf jeden Fall sehr gelegen.«
    Es war offensichtlich auch das Beste, was Haluin mit diesem Halt aus dem Heimweg beginnen konnte, denn er hatte sich bis an die Grenzen seiner Kräfte angetrieben. Cadfael ließ ihn in Frieden schlafen und ging hinaus, um sich noch bei Tageslicht auf dem Gut von Vivers umzusehen. Es war ein wolkiger Tag mit wechselnden Winden. Kein Frost lag mehr in der Luft. Ab und zu regnete es ein wenig, aber die Schauer dauerten nicht lange.
    Er ging quer durch die Einfriedung bis zum Tor, um das Haus in seiner vollen Größe zu sehen. Im steilen Dach über der Kemenate waren Fenster zu sehen, wahrscheinlich lagen dort noch zwei stille Kammern. Haluin und er waren bequemerweise unten untergebracht. Zweifellos wurde in diesem Augenblick eine der oberen Kammern für den erwarteten Bräutigam vorbereitet. Die Alltagsgeschäfte, soweit er sie im Hof beobachten konnte, schienen ohne Hast oder Verwirrung abzulaufen. Hier war alles gut geordnet.
    Hinter dem Pfahlzaun

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