Das Fremde Mädchen
Edgythas Tod berichtete?«
»Wer sonst?« gab Roscelin zurück. »Er kam mit seinen Neuigkeiten hereingeschnauft und weckte das ganze Haus, Audemar und alle anderen. Ich weiß nicht, ob er wollte, daß auch ich es hörte, als er alles erzählte, aber ich hörte es und bin sofort gekommen, um selbst zu sehen, was Ihr mir nicht verraten habt. Und wir werden schon sehen, ob wirklich dem Wohl aller genüge getan wird.«
»Dann hast du Edgytha nicht gesehen? Sie war nicht bei dir?«
»Wie konnte sie, wenn sie eine Meile oder weiter von Elford entfernt tot am Wegesrand lag?« erwiderte Roscelin ungeduldig.
»Sie ist erst nach dem Schneefall gestorben. Sie war einige Stunden fort, lange genug, um Elford zu erreichen und schon auf dem Rückweg zu sein. Irgendwo ist sie aber gewesen, und von irgendwo kehrte sie zurück. Wo sonst könnte sie gewesen sein?«
»Dann meint Ihr, sie war wirklich in Elford?« erwiderte Roscelin langsam. »Ich habe nur erfahren, daß sie tot ist und dachte, es sei auf dem Hinweg geschehen. Auf dem Weg zu mir! Dachtet Ihr daran? Daß sie mich warnen wollte, was hier in meiner Abwesenheit geschah?«
Cenreds Schweigen und Emmas unglückliches Gesicht waren Antwort genug.
»Nein«, sagte er langsam, »ich habe sie nicht gesehen.
Soweit ich weiß, auch sonst niemand in Audemars Haus. Wenn sie überhaupt dort war, dann weiß ich nicht, wen sie aufgesucht hat. Sicherlich nicht mich.«
»So hätte es sein können«, sagte Cenred.
»Aber so war es nicht. Sie kam nicht. Dennoch«, fuhr Roscelin erbarmungslos fort, »hier bin ich, wie sie es wollte, nachdem ich es aus einem anderen Mund erfuhr. Gott weiß, wie mich Edgythas Tod bekümmert, aber was können wir nun tun, außer sie in aller Ehre zu bestatten und danach hoffentlich ihren Mörder zu finden und auch ihn zu begraben? Aber es ist nicht zu spät, um zu überdenken, was hier morgen geschehen soll, es ist nicht zu spät, die Pläne zu ändern.«
»Ich wundere mich«, sagte Cenred barsch, »daß du mir nicht gleich den Mord zur Last legst.«
Roscelin, der auf eine so ungeheuerliche Idee nicht gekommen war, riß schockiert den Mund auf, und seine Hände baumelten plötzlich wie bei einem Kind schlaff herab. Völlig verblüfft stammelte er eine wütende, kaum zu verstehende Antwort, unterbrach sich aber und wandte sich wieder an de Perronet.
»Aber Ihr – Ihr hattet allen Grund, sie aufzuhalten, wenn Ihr wußtet, daß sie unterwegs war, um mich zu warnen. Ihr hattet allen Grund, sie zum Schweigen zu bringen, damit sich keine Stimme gegen Eure Heirat erhebt. Doch nun erhebe ich meine.
Wart Ihr es, der sie unterwegs umbrachte?«
»Das ist doch Dummheit«, sagte de Perronet voller Abscheu.
»Jeder hier weiß, daß ich den ganzen Abend über ständig anwesend war.«
»Mag sein, aber Ihr habt Männer, die für Euch arbeiten.«
»Das Haus Eures Vaters kann für alle bürgen, die mit mir kamen. Außerdem habt Ihr bereits erfahren, daß die Frau nicht auf dem Hinweg, sondern auf dem Rückweg getötet wurde.
Welchen Sinn hätte die Tat für mich noch gehabt? Und nun muß ich Euch fragen, Vater und Sohn gleichermaßen«, fuhr er scharf fort, »welches Interesse dieser Junge an der Heirat seiner Verwandten hat, daß er es wagt, die Rechte ihres Bruders und ihres zukünftigen Mannes in Frage zu stellen?«
Nun, dachte Cadfael, nun kommt alles heraus, auch wenn es niemand offen sagen wird. Denn de Perronet war klug genug, um die ganz besondere und verbotene Leidenschaft zu erfassen, die den unglücklichen Jungen trieb. Jetzt hängt es von Roscelin ab, ob die Sache anständig bereinigt werden kann oder nicht. Das erfordert natürlich viel von diesem aufgebrachten jungen Mann, der sich betrogen fühlt. Jetzt werden wir sehen, aus welchem Holz er ist.
Roscelin war erbleicht, kalkweiß war sein Gesicht, und die zarten Wangen-und Kieferknochen traten im Fackelschein deutlich hervor. Bevor Cenred Luft holen und sich Geltung verschaffen konnte, begann sein Sohn zu sprechen.
»Mein Interesse ist das eines Verwandten, der mit ihr sein Leben lang wie ein Bruder zusammenlebte und über alles in der Welt wünscht, daß Helisende glücklich wird. Das Recht meines Vaters stelle ich nicht in Frage, und ich zweifle nicht daran daß er die gleichen Wünsche hat wie ich. Aber wenn ich von einer Ehe höre, die in meiner Abwesenheit in aller Eile geplant und durchgeführt wird, wie kann ich da ruhig bleiben? Ich will nicht danebenstehen und zusehen, wie sie in eine
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