Das Fremde Mädchen
an. Mit Fackeln zog man in die Dunkelheit hinaus, und Cadfael schloß sich ihnen an, dichtauf gefolgt von Roscelin und de Perronet, dahinter noch einige Diener.
Im Hof flackerten und spuckten die Fackeln und beleuchteten das grobknochige Gesicht von Audemar de Clary und seinen massigen Körper, als er aus dem Sattel stieg und seine Zügel einem herbeigeeilten Burschen übergab. Hinter ihm kamen Edred der Aufseher, der jetzt auf einem Pferd aus de Clarys Stall saß, und drei von Audemars Männer.
Cenred eilte die Treppe hinunter, um sie willkommen zu heißen. »Mylord«, sagte er, ausnahmsweise förmlich mit seinem Freund und Oberherrn umgehend. »Ich hätte nicht erwartet, Euch heute nacht zu sehen, aber Ihr kommt im richtigen Augenblick und seid mehr als willkommen. Gott weiß, daß wir Euch schon genug Umstände machen, denn ein Mord ist geschehen, wie Edred Euch sicher berichtet hat. Ein Mord in eurem Bezirk, das ist kaum zu glauben, aber so ist es.«
»Ich habe es gehört«, erwiderte Audemar. »Kommt herein und laßt mich die Geschichte hören. Vor morgen früh können wir nichts weiter tun.« Als er die Halle betrat, fiel sein Blick auf den abtrünnigen Roscelin. Er bemerkte das grimmige und keineswegs schuldbewußte Gesicht des Jungen und sagte ohne Vorwurf: »Du bist hier, Junge? Dich hätte ich nun wirklich nicht erwartet.« Offenbar waren ihm die tieferen Gründe für Roscelins Verbannung bekannt, und er empfand ein gewisses Mitgefühl für den Jungen, auch wenn er dessen überstürztes Handeln nicht gutheißen konnte. Er klopfte ihm herzhaft auf die Schulter, trat ein und zog den Jungen mit sich in die Kemenate.
Roscelin aber wehrte sich und zupfte seinen Herrn drängend am Arm.
»Mylord, es gibt noch mehr zu erzählen. Sir«, wandte er sich leidenschaftlich an seinen Vater, »sagt es ihm! Wenn sie nicht nach Elford geritten ist, wo kann sie dann sein? Mylord, Helisende ist verschwunden, sie ist allein ausgeritten, und mein Vater glaubt, daß sie nach Elford wollte – meinetwegen! Aber ich ritt über die Nebenstraße hierher und sah sie nicht. Ist sie wohlbehalten bei Euch eingetroffen? Nehmt mir meine Sorgen – hat sie die Hauptstraße genommen? Ist sie jetzt sicher in Elford?«
»Das ist sie nicht!« Aufgebracht angesichts dieses neuen Problems sah Audemar zwischen Vater und Sohn hin und her und spürte die Spannungen zwischen den beiden. »Wir sind selbst über die Hauptstraße gekommen und haben keine Spur von ihr oder einer anderen Frau gesehen. Auf der einen oder anderen Straße hätte jemand sie treffen müssen. Kommt herein!« sagte er und drängte Cenred mit seinem freien Arm.
»Laßt uns drinnen sehen, was wir wissen und zusammenfügen können, damit wir morgen das Richtige tun. Madam, Ihr solltet etwas ruhen, denn sonst könnt ihr weiter nichts ausrichten. Ich fühle mich hier verantwortlich, und Ihr braucht nicht die ganze Nacht zu wachen.«
Es war keine Frage, wer hier der Herr war. Emma faltete dankbar die Hände, warf ihrem Mann und ihrem Sohn noch einen liebevollen Blick zu und zog sich gehorsam zurück, um zu ruhen, soweit sie überhaupt Ruhe finden konnte. Audemar sah noch einmal aus der Kemenate heraus, ließ einen freundlichen Blick durch die Halle wandern, der allen Anwesenden zeigte, wer hier der Herr war, und entließ damit alle Bediensteten.
Dann fiel sein Blick auf die Benediktiner, die unaufdringlich in einer Ecke warteten. Mit freundlichem Nicken begrüßte er sie und lächelte.
»Gute Nacht, Brüder!« sagte Audemar und zog hinter sich die Türe zu, um mit dem besorgten Hausherren von Vivers und dessen hitzigem Stammhalter zu sprechen.
10. Kapitel
»Er hat recht!« sagte Bruder Haluin, als er sich im Zwielicht vor der Dämmerung auf seinem Bett ausgestreckt hatte. Er war nicht müde und zudem von seinem langen Schweigen in Gegenwart der wirklich Betroffenen erlöst. »Gute Nacht, Brüder, und lebt wohl! Es wird keine Heirat geben. Ohne Braut keine Trauung. Und selbst wenn sie zurückkommt, diese Verbindung kann nicht mehr wie beabsichtigt geschlossen werden, als wäre nichts geschehen, das so bittere Zweifel aufwirft. Als ich die Aufgabe übernahm – auch so schon fand ich sie mühsam genug –, gab es keinen Grund zur Annahme, die Ehe werde nicht zum Besten aller gereichen, so bekümmert die Braut auch war. Nun gibt es gute Gründe zu zweifeln.«
»Ich glaube«, sagte Cadfael, der Haluins gedämpfter, vorsichtiger Stimme gelauscht hatte, während dieser sich zu
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