Das Fremde Mädchen
Dies hier ist sein Gebiet, und ein Mord ist ebenso seine Angelegenheit wie die meine. Kommt, Jean, mit Eurer Erlaubnis werden wir uns in die Kammer zurückziehen und die Halle den Schläfern überlassen.«
Zweifellos, überlegte Cadfael, während er Cenreds trauriges Gesicht betrachtete, wäre er glücklicher, wenn de Perronet sich von sich aus zurückzöge und abseits hielte, aber dazu ist es jetzt zu spät. Und so sehr er sich auch um die Wahrheit hinter dem herumredet, was sein Verwalter aus Elford an Neuigkeiten mitbringen wird, allein der Name des Ortes hat nun eine Bedeutung gewonnen, der man nicht mehr entgehen kann.
Cenred ist kein Mensch, der Täuschungen liebt oder der inbrünstig und geschickt lügen könnte.
Die Frauen folgten den Befehlen sofort und zogen sich, immer noch ängstlich flüsternd, in ihre Quartiere zurück. Die Diener löschten die Fackeln und ließen nur noch zwei am großen Tor brennen, um den Eingang zu beleuchten. Dann versorgten und dämpften sie das Feuer, damit es die Nacht über leise weiterbrennen konnte. De Perronet folgte seinem Gastgeber zur Tür der Kemenate. Cenred blieb vor der Tür stehen, drehte sich um und winkte Cadfael herein.
»Bruder, Ihr wart Zeuge, Ihr könnt bezeugen, wie wir sie fanden. Ihr habt uns gezeigt, daß der Schnee schon vor ihrem Tod zu fallen begonnen hatte. Wollt Ihr mit uns warten und hören, was mein Verwalter zu berichten hat?«
Kein Wort wurde darüber verloren, ob Bruder Haluin diese Einladung auch auf sich beziehen sollte. Als er aber Cadfaels eher abratendem als aufforderndem Blick begegnete, beschloß er, ihn einfach zu ignorieren. Genug war schon geschehen, um seine Gedanken in Gang zu bringen, und die bevorstehende Heirat schien zumindest indirekt mit dem Todesfall zusammenzuhängen. Er mußte wissen, was hinter dieser nächtlichen Wanderung steckte und sein Wort zurückziehen, falls es triftige Gründe gab. Er schürzte die Lippen und folgte der Gesellschaft in die Kemenate; die Krücken pochten schwer auf den Binsenteppich und hallten dumpf, als sie auf die Dielenbretter trafen. Er setzte sich, ein unaufdringlicher Zuhörer, in der dunkelsten Ecke auf eine Bank.
Cenred ließ sich müde am Tisch nieder, stemmte die Ellbogen auf die Platte und stützte den Kopf mit seinen kräftigen Händen.
»Sind Eure Männer zu Fuß gegangen?« fragte de Perronet.
»Ja.«
»Dann müssen wir möglicherweise lange warten, bis sie zurückkehren. Habt Ihr noch andere Gruppen auf anderen Straßen ausgeschickt?«
»Nein«, sagte Cenred einfach und ließ sich nicht zu einer Erklärung oder Entschuldigung bewegen. Vor kaum einer Viertelstunde, dachte Cadfael, wäre er noch ausgewichen oder hätte die Frage unbeantwortet gelassen. Jetzt geht es nicht mehr um Diskretion. Ein Mord bringt viele andere, nicht weniger schmerzliche Dinge ans Licht, auch dann schon, wenn der Mord selbst noch nicht aufgeklärt ist.
De Perronet hielt den Mund und verkniff sich jede weitere Frage. Schweigend warteten sie. Die Nacht hatte eine gedämpfte Stille über das Anwesen von Vivers gebracht, unheildrohend und bedrückend. Es war zu bezweifeln, daß irgend jemand in der Halle schlief, aber wenn sich jemand regte, dann verstohlen, und wenn jemand sprach, dann flüsternd.
Dennoch mußten sie nicht so lange warten, wie de Perronet prophezeit hatte. Das Schweigen wurde abrupt durch trommelnde Hufschläge eines galoppierenden Pferdes unterbrochen.
Eine wütende junge Stimme rief nach Bediensteten, Burschen rannten aufgeregt umher, und hastig regten sich alle wachenden Menschen in der Halle. Füße stolperten blind durch die Dunkelheit und raschelten in den Binsen, Feuerstein und Stahl wurden zu kurz und zu hastig geschlagen, um den Zunder zu entzünden. Die erste Fackel wurde ins gedämpfte Feuer gedrückt und in aller Eile an andere Fackeln gehalten, die mit ihr entzündet werden sollten. Bevor die Männer aus der Kemenate in die Halle hinauslaufen konnten, pochte es schon an der Außentür, und eine wütende Stimme verlangte Einlaß.
Zwei oder drei rannten, die Tür zu öffnen, denn sie hatten die Stimme erkannt. Sie wurden zurückgeworfen, als die schwere Türe gegen die Wand flog, und in das helle Kerzenlicht trat Roscelin mit unbedecktem Kopf und nach dem schnellen Ritt zerzaustem blondem Haar. Seine blauen Augen blitzen, die Kälte der Nacht wehte mit ihm herein, die Fackeln spuckten und qualmten. Cenred stürmte aus der Kemenate, wurde aber auf der Schwelle vom grimmigen
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