Das Fremde Mädchen
Ehe gedrängt wird, die sie vielleicht selbst nicht will. Ich kann nicht zulassen, daß sie gezwungen oder überredet wird.«
»Das ist nicht der Fall«, wandte Cenred hitzig ein. »Sie wurde nicht gezwungen, sie stimmte aus freiem Willen zu.«
»Und warum wolltet Ihr es mir verschweigen? Bis alles geschehen war? Wie kann ich das glauben, wenn Euer Verhalten etwas anderes sagt?« Er fuhr, sein bleiches Gesicht mühsam unter Kontrolle haltend, zu de Perronet herum. »Sir, gegen Euch habe ich keine Einwände. Ich wußte nicht einmal, wer ihr Ehemann werden sollte. Aber Ihr müßt einsehen, daß sich Mißtrauen regt, wenn etwas nicht in Offenheit geschieht.«
»Jetzt ist es offengelegt«, meinte de Perronet knapp. »Was hindert Euch, es von Helisende selbst zu hören? Wird Euch das zufriedenstellen?«
Roscelin verzog gequält das Gesicht und wehrte sich einen Moment sichtlich gegen die Gefahr, endgültig zurückgewiesen zu werden und sie ein für allemal zu verlieren. Aber er mußte zustimmen.
»Wenn sie mir sagt, daß sie selbst es will, dann werde ich schweigen.« Er sagte allerdings nicht, daß er damit zufrieden sein würde.
Cenred wandte sich an seine Frau, die sich die ganze Zeit an seiner Seite gehalten und das gequälte Gesicht ihres Sohnes beobachtet hatte.
»Ruf Helisende. Sie soll selbst sprechen.«
Im drückenden, unbehaglichen Schweigen, das sich über die Gruppe senkte, nachdem Emma gegangen war, fragte Cadfael sich, warum sich kein anderer wie er darüber wunderte, daß Helisende nicht schon lange gekommen war, um herauszufinden, was diese nächtliche Unruhe zu bedeuten hatte. Er konnte den letzten Anblick nicht loswerden, den er von ihr erhascht hatte, wie sie einsam unter so vielen Menschen gestanden hatte, plötzlich verloren und von einem Weg abgekommen, den sie mit Entschlossenheit und Würde zu Ende gehen wollte. In einer so schrecklich veränderten Situation hatte sie die Orientierung verloren. Ein Wunder, daß sie nicht, um ihre Fassung zurückzugewinnen, heruntergekommen war, um zu erfahren, was die Sucher gefunden hatten. Wußte sie etwa noch nicht, daß Edgytha tot war?
Cenred war mitten in die halbdunkle Halle getreten und hatte die Kemenate verlassen, denn auch hinter geschlossenen Türen gab es jetzt keine Abgeschiedenheit mehr. Eine Frau seines Hauses war gestorben. Eine Familienangehörige fand ihre Heirat durch Konflikte und Tod bedroht. Jetzt gab es keinen Unterschied mehr zwischen Herren und Dienern, zwischen Dame und Dienerin. Sie warteten unbehaglich. Alle außer Helisende, die immer noch nicht unter ihnen war.
Bruder Haluin hatte sich in die Schatten zurückgezogen und saß stumm und still auf einer Bank an der Wand, steif und eingerahmt von seinen Krücken, die er an seinen Seiten hielt.
Seine dunklen hohlen Augen glitten aufmerksam von einem Gesicht zum andern, prüften und blickten verwundert. Wenn er müde war, dann ließ er es sich nicht anmerken. Cadfael hätte ihn gern ins Bett geschickt, aber alle hier standen unter einem Zwang, der sie nicht gehen ließ. Nur eine hatte dem Zwang widerstanden, nur eine war geflohen.
»Was hält die Frauen auf?« sagte Cenred, als sich die Zeit dehnte. »Dauert es denn so lange, ein Kleid anzuziehen?«
Aber es vergingen noch einige Minuten, bis Emma wieder in der Türe stand, das runde, sanfte Gesicht entsetzt und empört verzogen, die Hände aufgeregt am Gürtel spielend. Hinter ihr lugte Madlyn besorgt und mit großen Augen durch die Türe.
Doch von Helisende war nichts zu sehen.
»Sie ist fort«, sagte Emma, zu erschüttert und verwirrt, um viele Worte zu machen. »Sie ist nicht im Bett und nicht in ihrer Kammer, sie ist im ganzen Haus nicht zu finden. Ihr Mantel ist nicht da. Jehan war draußen bei den Ställen, und auch ihr Pferd und ihr Zaumzeug sind fort. Während ihr unterwegs wart, hat sie heimlich ihr Pferd gesattelt und ist allein davongeritten.«
Alle schwiegen sie, die Brüder, der Bräutigam, der enttäuschte Geliebte. Während sie über ihr Schicksal gestritten und gerungen hatten, hatte Helisende gehandelt und war vor ihnen allen geflohen. Ja, auch vor Roscelin, denn er stand erschüttert und erstaunt und ebenso verwirrt wie alle anderen in der Halle. Cenred mochte sich aufrichten und seinen Sohn finster ansehen, de Perronet mochte herumfahren und ihn mit tiefem Mißtrauen mustern, aber offensichtlich hatte Roscelin mit dieser panischen Flucht nichts zu schaffen. Mit ihrem heimlichen Gang, dachte Cadfael, hatte
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