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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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Sie spricht zu Jakob und er zu ihr, letzte Worte des Abschieds, an die sie sich im Nachhinein nicht wird erinnern können, kein einziges wird ihr mehr einfallen wollen.
    Der Pfleger schiebt Jakob davon, und schon nach wenigen Schritten hat sein breiter, dunkler Rücken die Sicht auf ihn versperrt. Sie weiß, dass Jakob den Zettel mit ihrem Namen bei sich trägt, dass sie selbst nur auf das Klemmbrett schauen muss, um sich zu vergewissern, wohin man ihn bringt. Und trotzdem, während sie sich an dem Klemmbrett festhält, flutet sie ein Gefühl. So wie sie vor vielen Jahren wusste, dass die Wolken über ihr nicht gewöhnliche Wolken waren, dass sie nicht weiterziehen oder sich in einem kurzen Regenschauer verlieren würden, so wie sie damals wusste, dass etwas seinen Lauf genommen hatte, etwas Unvorhergesehenes und Unaufhaltsames, so weiß sie es auch jetzt: Sie wird einen weiten Weg zurücklegen müssen, bevor sie Jakob wiedersieht.

Die neunte Geschichte:
    In der Geisterfabrik
    4. »Catalina Susana Garcia ›lifts‹ herself into the ethereal« (Fotografie, Madrid, Spanien, 1905)

Nach Balzac besteht jeder lebende Körper aus unendlich vielen »Spektren«, die in winzig kleinen Schuppen oder Blättchen schichtenförmig übereinanderliegen und ihn von allen Seiten einhüllen.
    Da es dem Menschen immer unmöglich sein wird, etwas zu erschaffen – das heißt, aus der bloßen Erscheinung, dem Ungreifbaren, einen festen Körper zu bilden, aus nichts etwas zu machen –, muß bei der Daguerreschen Photographie eine Schicht des abzubildenden Körpers erfaßt, abgelöst und auf die Platte gebannt werden.
    Daraus folgte, daß jeder Körper bei jeder photographischen Aufnahme eine seiner Spektralschichten, das heißt einen Teil seines elementaren Wesen einbüßte.
    Nadar, »Als ich Photograph war«, 1900
    Aus dem Französischen von Trude Fein

Die anderen Kinder nennen sie Gespenstermädchen und wollen nichts mit ihr zu tun haben. Die Eltern der Kinder schütteln die Köpfe, stimmen im Geheimen aber zu: Das Mädchen sieht unheimlich aus, mit ihrem verfilzten Rabenhaar, den bläulich schimmernden Adern unter der bleichen Haut, dem durchdringenden Blick. Ihre Strumpfhosen haben Laufmaschen, ihre Kleider Flecken und Löcher.
    Im Unterricht sitzt sie als stiller Schatten in der letzten Reihe. Mit den anderen Kindern redet sie nie, einige der Mädchen aber haben sie in den Pausen dabei beobachtet, wie sie in dunklen, spinnwebverhangenen Ecken ins Nichts spricht.
    Die Kinder sagen und die Eltern flüstern und die Lehrer glauben, dass das Mädchen jene, die nicht mehr sind, mit bloßen Augen sehen könne, dass es sie wispern, sie flüstern höre.
    *
    Am Abend vor ihrem neunten Geburtstag geht Miriam früh zu Bett. Schon in den vorangegangenen Nächten hat sie die angespannte Aufregung wach gehalten, die einem großen Ereignis vorausgeht. Sie hat dem allmählich ansteigenden Stimmengewirr gelauscht und nur einzelne Worte verstehen können. Jemand oder etwas werde kommen?
    Heute Nacht ist es vollkommen still. Totenstill würden manche sagen, nicht aber Miriam. Niemand, weiß sie, ist so laut wie die Toten. An ihre gemurmelten Worte hat sie sich bereits gewöhnt, ihr Schweigen fürchtet sie. Während sie an die Decke schaut, zählt sie, denn Zahlen sind verlässlich. Auf die Eins folgt die Zwei, auf die Zwei die Drei. Und so geht es immer weiter. Miriam zählt bis zur Hundert und zurück. Noch immer nicht müde, dreht sie sich von rechts nach links, von links nach rechts.
    Kurz nach Mitternacht klopft es unten an der Haustür. Obwohl die Mutter noch nicht schlafen gegangen ist, regt sich nichts im Haus. Leise klettert Miriam aus dem Bett, leise öffnet sie die Tür und steckt den Kopf in den Flur. Als sie zögernde Schritte hört, schleicht sie zum oberen Ende der Treppe und sieht, wie sich die Mutter der Haustür nähert, vor ihr stehen bleibt und ihre Stirn gegen das Holz lehnt. Ein erneutes Klopfen lässt sie zusammenzucken. Sie öffnet die Tür. Draußen stehen ein Mann und eine Frau. Der Mann trägt Anzug und Hut, die Frau ein graues Kostüm.
    »Wir sind wegen Ihrer Tochter hier«, erklärt die Frau, und etwas in ihrer Stimme lässt Miriam weiter in die Schatten zurückweichen, bis sie mit ihrem Rücken gegen die Wand stößt.

Wir retten keine Leben, wir verwalten den Tod
    Ghostmanual
    1.1. Einführung: Firmenphilosophie und Geschichte
    Ghostpreservations Inc. ist ein traditionelles Unternehmen, das sich bereits seit zwei

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