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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Heiratsvermittlerin Anne-Marie Waschleppa aus Kösen. Dieses »überfallartige Erlebnis« sei nicht dehnbar, sowenig wie es einen »Blitzkrieg in Zeitlupe« gäbe. Zugleich weiß man, fügte Waschleppa hinzu, daß alle Gefühle träge sind. Sie sind den Liebesallüren, die aus der Vorstellungskraft kommen, nicht gewachsen. Deshalb rate sie frisch Verliebten, sofort nach dem Blitz mit der Nacharbeit zu beginnen. So habe Gerda Schaake ihr Glück gemacht, weil sie in Abwesenheit ihres neuen Geliebten, der unmittelbar nach der ersten Liebesnacht zu einer Geschäftsreise aufbrach, eine Phase der Planung ansetzte. Es gibt nämlich Planwirtschaft in der Liebe, so Waschleppa. Sie zeitigt, anders als in der Ökonomie, weil bürokratiefrei, beste Ergebnisse.
Ein Hinweis des Arbeitszeitmessers Trube ...
    Die Behauptung des französischen Staatspräsidenten, der Roman Die Prinzessin von Clèves sei das Paradebeispiel für ein verstaubtes und überholtes Werk und somit für den Unterricht in den französischen Gymnasien ungeeignet, irritierte A. Trube. Schließlich hatte er in dem oben erwähnten Volkshochschulkurs Zeit für die Lektüre von Auszügen dieses Romans aufgewendet. Diese Zeit war er nicht bereit verlorenzugeben. Er monierte, daß Sarkozy für seine eigene Ehe keine Folgerungen aus dem, gerade was Zeitmessung betrifft, so aufschlußreichen Romanwerk ziehe. Für den 4. Mai 2009 z. B., so Trube, sei leicht nachzumessen: vier Stunden Zeitaufwand in Kehl und Baden-Baden, sechs Stunden verausgabt für Probleme Westafrikas, Frage des Ausgleichs zwischen EU und Rußland eine weitere Stunde, zwei Pressegespräche, der Budgetvoranschlag für 2010, die Reparatur zweier Flugzeugträger, Zwischenbilanz des Staatsfonds für Banken- und Wirtschaftshilfe: für Carla Bruni gab es in diesen Tag- und Nachtverläufen keine Chance, ihren Mann in einem Augenblick anzutreffen, in dem er im Besitz seiner intakten Sinne (also auf sie konzentriert) war. Das, so Trube, muß sich langfristig verhängnisvoller auswirken als alles, was im Roman Die Prinzessin von Clèves geschah.
    9
Intelligenz und Sprache der Mathematik im Vergleich zu der von Liebesromanen

    Abb.: Bernoulli.
    Im Umkreis des Jahres 1678, in dem Die Prinzessin von Clèves publiziert wurde, reiste der Pionier und Theoretiker der Wahrscheinlichkeitstheorie Bernoulli durch Holland. Aus seinen Entdeckungen entwickelten sich später die Stochastik und besonders der Grenzwertsatz. Dieser bezeichnet die bestimmten Bedingungen, unter denen die Verteilung einer Summe von Zufallsvariablen mit Hilfe einer Normalverteilung beschrieben werden kann. Das ist zum Beispiel relevant für die Frage nach einem künftigen Wahlverhalten, nach Wahrscheinlichkeiten des Klimas; es ist bedeutend für die Berechnung von Finanzrisiken.
    Dabei unterscheidet man Unwissen (das durch keine mathematischen Mittel beseitigt werden kann, und zum Beispiel die Katastrophe von Tschernobyl und den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers verursachte) von dem Risiko, das in der Zukunft verborgen liegt, aber durch den Grenzwertsatz ermittelt werden kann. Die wagemutige Intelligenz, die von den Randzonen der Wahrscheinlichkeit handelt, wird auf dem Gebiet der zärtlichen Kraft nirgends angewendet.
    Man vergleiche die ganz andere Sprache der mathematischen Intelligenz gegenüber der Redeweise von Liebesgeschichten. Der Frankfurter Stochastiker Anton Wakolbinger gibt ein Beispiel, das an Jacob Bernoullis Beweis für das Schwache Gesetz der großen Zahlen anknüpft:
    ###
    Wir stoßen hier erneut auf das fundamentale Quadratwurzel-aus-n-Gesetz: Eine Zufallsvariable, die sich aus n unabhängigen, identisch verteilten Summanden zusammensetzt, streut ihre Werte typischerweise in einem Bereich, dessen Breite von der Größenordnung √ n ist. Diese Einsicht ist intuitiv nicht ohne weiteres klar. Sie wird im Zentralen Grenzwertsatz vertieft. Zunächst beweisen wir einen einfachen Satz, der den folgenden Sachverhalt erfaßt: Wiederholt man ein Zufallsexperiment mit Erfolgswahrscheinlichkeit p in unabhängiger Weise, so stabilisiert sich die relative Häufigkeit der Erfolge mit wachsender Versuchszahl n bei p. Allgemeiner gilt, daß das arithmetische Mittel von n identisch verteilten, unabhängigen Zufallsvariablen mit wachsendem n gegen den Erwartungswert strebt. Ein erstes Resultat dieses Typs stammt von Jacob Bernoulli. 20
    Schwaches Gesetz der großen Zahlen. Die Zufallsvariablen X 1 , X 2  , ... seien reellwertig,

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