Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Eigenliebe, das sich in der Raschheit des Geständnisses, dem Mangel an Einfühlung in ihren Mann äußert.
In der Kunst kehrt sich das Verhältnis von dunklen und hellen Kräften um. Ein Lamento, Ausdruck von Trauer, kann mehr Helligkeit verbreiten als ein helles C-Dur.
Dies alles sind aber nur scheinbar »Wetten« und »Derivate«. Es handelt sich um Verkleidungen des Eros. Zuletzt tritt aber dieser selbst aus der Kostümierung wieder hervor, so daß die gesamten Mutmacher sich als Teile einer umfassenden Liebesfähigkeit erweisen. Auch ist die Bezeichnung der antagonistischen Triebkräfte als Eros und Thanatos ungenau. Es sind keine Einheiten, um die es geht, sondern in jedem Augenblick zu neuen Figuren zerfallende Projektionen und Überlebsel, die aus Milliarden libidinöser Partikel bestehen: Reste, Echos ehemaliger Sehnsucht. Einige davon entstehen in dieser Sekunde, andere sind 6000 Jahre alt; das sieht man den Schwärmen solcher Kräfte von außen nicht an.
Nature of Love
In seinem Aufsatz The Nature of Love setzt sich Harry F. Harlow mit der »Frage der primären Triebe« auseinander. Nach herrschender Lehre, sagt er, seien die Basis-Motive vor allem Hunger, Durst, Einsamkeit, Schmerz und Sex. Das Verhältnis von Mutter und Kind werde dadurch interpretiert, daß es die primären Triebe befriedige, und durch sekundäre verstärkende Mechanismen komme die Mutter-Kind-Beziehung zustande. Richtig an diesen Beobachtungen sei, daß keine andere Bindung so intensiv wie die Mutter-Kind-Beziehung das weitere Triebschicksal und seine Verallgemeinerung beeinflusse. Es sei aber auffällig, daß alle sekundären Verstärker, die sich mit Befriedigungen der genannten Triebkräfte oder Nöte verbinden, bei experimenteller Prüfung nach einer gewissen Zeit verschwänden. Im Gegensatz dazu verschwänden die Zuwendungen, die im Verhältnis Mutter – Kind angelegt seien, überhaupt niemals, sie hätten vielmehr eine Tendenz zu breiter Verallgemeinerung.
Abb.: Draht-Mutter, Stoff-Mutter.
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Abb.: Äffchen umklammert Stoff-Mutter, »Response to Cloth«.
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Abb.: Grafik »Die Äffchen lehnen Draht-Mutter ab, weil sie keinen Hautkontakt zuläßt.«
Harlow geht experimentell vor. Er trifft dabei auf die Schwierigkeit, daß bei menschlichen Neugeborenen die experimentellen Überprüfungen auf eine inadäquate Ausbildung der motorischen Fähigkeiten stoßen. Das Menschenkind hat anfangs keinen adäquaten Ausdruck. Dies ist, sagt Harlow, bei neugeborenen Makaken-Äffchen anders. Sie sind, gleich nach der Geburt, motorisch reifer und entwickeln sich rascher. Die unmittelbaren Antworten (basic responses), die sich auf Liebe beziehen (»affection, including nursing, contact clinging, and even visual and auditory exploration«), zeigen dagegen keine grundlegenden Unterschiede zu Menschenkindern. Harlow hat deshalb in einem dreijährigen Experiment zunächst diese Affenkinder studiert. Danach bot er zwei Ersatzmütter jeweils einer gleich starken Babygruppe an: eine Stoff-Mutter und eine Draht-Mutter. Das Experiment erfolgte so, daß einmal die Draht-Mutter, das andere Mal die Stoff-Mutter Milch gab. In allen Fällen, also auch wenn der Hunger nicht durch die Stoff-Mutter gestillt werden konnte, konzentrierten sich die Babys ausschließlich auf die Haut-Mutter. 23
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Abb.: Verwaistes Äffchen, wenn nur Draht-Mutter zur Verfügung steht, selbst wenn sie Milch gibt.
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Blindheit, Unbestechlichkeit der Libido
Im Schattenreich der Libido
Abb.:Sigmund Freud mit einem Bruder und fünf Schwestern. →
Die Lüge eines Kindes
Eine Patientin von Sigmund Freud war als siebenjähriges Kind einer Lüge überführt worden. Für ihre Lüge war sie bestraft worden, dies bezeichnete sie als »Wendepunkt« ihrer Jugend. »Sie war bis dahin ein wildes, zuversichtliches Kind, sie wird von da an scheu und zaghaft.« In ihrer Brautzeit, fährt Freud fort, gerät sie in eine ihr unverständliche Wut, als die Mutter die Möbel und Aussteuer besorgt. Es sei ihr Geld, sagt sie, dafür dürfe kein anderer etwas kaufen. Sie trennt dann in ihrer Ehe »in überflüssiger Weise« die Ausgaben für ihren persönlichen Bedarf von denen des Haushalts, für die sie das Geld von ihrem Mann erhält. Sie hatte sich wegen solcher Irritationen der psychoanalytischen Kur unterzogen.
Das Hausmädchen der Familie, das Freuds Patientin als Kind versorgt hatte, war eine erotische Beziehung zu einem Arzt in der Nachbarschaft eingegangen. Diese Beziehung
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