Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Eskorte war jedoch unnötig. Von der gefährlichen gesellschaftlichen Ebene des STANDINGS war die Krise auf das natürliche Feld der EMPFINDUNG zurückgekehrt; die ist vergeßlich und gehorcht dem glücklichen Moment. Offenbar waren die beiden froh, einander wiederzuhaben (von Ihne galt zu diesem Zeitpunkt als »Angeber« und »Hochstapler«, auch als »Irrtum«).
Neun Monate nach dieser Rückkehr im Juli (am Ankunftsabend Gewitter über dem Wintergarten) wurde meine Schwester als VERSÖHNUNGSKIND geboren. Von Beginn an Augenlicht meines Vaters. Für beide Eltern Zeichen
eines Neubeginns. Als Kronprinz war ich enthront. Ich war empört.
Abb.: Ich heiße Alexander, im Anklang an den Namen meiner Mutter Alice. Meine Schwester ist auf den Namen Alexandra getauft. In der Familie wird keiner von uns beiden mit diesen Namen gerufen.
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Abb.: In den achtziger Jahren. Während der Dreharbeiten zu Die Macht der Gefühle .
(Foto: Digne M. Marcovicz) →
Gustav Fehn: »Bürger in Uniform«
Ein Berufssoldat, eingetreten in das Heer 1911, später Reichswehr und im Zweiten Weltkrieg Panzergeneral, galt nach damaligem Verständnis nicht als Bürgersmann. Besuchte Gustav Fehn, stämmig, fränkisch, das Ritterkreuz am Hals, unser Haus oder ging er mit mir an der Hand in die Stadt, erschien er als Mann aus einer GEHARNISCHTEN WELT . Nur einmal hatte ihn der Mut, die Contenance, verlassen. Er hatte als Kommandeur des Afrikakorps im Januar 1943 in Libyen von seinem Funkwagen aus eine Panzerabteilung für einen Gegenangriff konzentriert, wie es den taktischen Erfahrungen der beiden Vorjahre entsprach, und so seine Leute und Fahrzeuge zur Vernichtung durch britische Jagdbomber bereitgestellt. Vor seinen Augen gingen die Männer und die Fahrzeuge zugrunde. Er selbst für Stunden verschüttet, beide Trommelfelle geplatzt. Vertraute hatten ihn mit der nächsten Maschine nach Neapel ausgeflogen. In seinem Gehirn sei, sagte er später, in diesen Augenblicken etwas zerrissen. Seither war er vorsichtig. Am 30. April 1945 ließ er sich in einem Konvoi von Geländefahrzeugen aus dem Bereich des von ihm zu dieser Zeit kommandierten XV . Gebirgskorps zur britischen Front bei Fiume fahren und kapitulierte dort vor der westlichen Truppe. Aus dem Leben eines Soldaten, also eines Lebewesens, das seine Anker außerhalb der Gesellschaft hat, war er zurückgekehrt in das, was er als Sohn seiner Eltern ursprünglich gewesen war: ein bürgerlicher Mensch, der darauf achtet, seine Haut zu retten und dahin zurückzukehren, wo er Haus und Kinder hat. Schon nahm er an Ausbildungskursen teil, die im britischen Gefangenenlager abgehalten wurden, prüfte, für welchen Beruf er sich in Zukunft qualifizieren könnte.
Dann wurde er Objekt der Bemühungen um Appeasement, die Churchills Generalbevollmächtigter für den Mittelmeerraum, Harold McMillan, gegenüber den jugoslawischen Partisanen betrieb. Als »Zugabe« aus Anlaß der Verhandlungen um eine Direktverbindung vom Hafen in Triest zur geplanten britischen Besatzungszone in Österreich gab McMillan dem störrischen, wenig beeindruckbaren Partisanenkommando einige der gefangenen deutschen Generale in Zahlung; parallel zur Übergabe der Kosakenverbände an die Rote Armee. Das »Geschenk« war unnötig, weil die Jugoslawen nicht auf Gefälligkeiten der Briten achteten, sondern auf Stalins Ratschläge. Am 4. Juni 1945 wurde mein Onkel Gustav Fehn gemeinsam mit dem General der Infanterie Werner von Erdmannsdorff, Generalleutnant Friedrich Stefan und Generalmajor Heinz Kettner aus britischer Gefangenschaft, über die Demarkationslinie hinweg, in Laibach an die Partisanen ausgeliefert. Am folgenden Tag, nachmittags, wurden die vier hingerichtet.
Schon winkt ein neues Leben
Die lange Betonstiege empor, an dem splitterabwehrenden Vorbau entlang, durch den verwüsteten Garten der Reichskanzlei ging es hinaus. In den Norden Berlins, von dort in westlicher Richtung. Er kam über die Elbe, ließ sich von der »Front« überrollen und traf Wochen später (in Zivil) in Bad Godesberg ein, wo er Unterkunft bei Freunden fand.
Er trug Hitlers Testament, eingehüllt in einen Beutel, auf der Brust. Er war ausgesandt als dritter Bote. Dann aber erwies sich, daß das Testament den Großadmiral längst erreicht hatte. Das war im Rundfunk mitgeteilt. Insofern keine Eile, das Dokument abzuliefern. An wen auch?
Die Universität Bonn kam bereits wieder in Gang. Er ließ sich unter einem angenommenen Namen (auf den
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