Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
wählten sie stets diejenigen aus, die ein RÄTSEL und eine ÜBERRASCHUNG enthalten. Dies ist stets dann der Fall, wenn unterschiedliche, miteinander nicht austauschbare Wirklichkeiten sich aneinander reiben, wie es mit der Erdkruste bei Erdbeben geschieht. Der Ritter, das Begehren der Kaiserin und der selbstlose Auftritt des Kaisers bilden drei fremde Welten.
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At illi: »Certe non possumus nisi una via tantum: illum militem, qui fecit victoriam, occidite et cum sanguine ejus ipsam liniri faciatis.« Hoc facto cessavit temptacio et statim de infirmate convaluit.
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Doch jene erklärten: »Das können wir mit Sicherheit nur mit einem einzigen Mittel: Tötet jenen Ritter, der den Sieg errang, und laßt Eure Gattin mit seinem Blut bestreichen.« So geschah es, und die Versuchung war zu Ende, und sie wurde unverzüglich von der Krankheit geheilt.
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Wenig Einfluß hat der Ritter auf das, was ihm geschieht. Er weiß nicht einmal, daß die Kaiserin ihn auf Leben und Tod begehrt. Er wird umgebracht, weil er so ist wie EIN SCHÖNER RITTER , gemacht aus den subtilen Wahlen der Frauen. Es erweist sich als nötig, daß eine von ihnen, die Kaiserin, das Produkt vernichtet, von dem sie sich so angezogen fühlt; allerdings wird auch sie nicht gefragt. Der Kaiser und die Ärzte verordnen den Tod des jungen Helden.
Im Strandkorb an der holländischen Küste plante Thomas Mann, vier Jahre vor seinem Tod, mehrere Tage seines wertvollen Urlaubs opfernd, die Geschichte vom Blut des Geliebten in Form einer Kommentar-Novelle nachzuerzählen. Dann wandte er sich doch dem Stoff für den Roman Der Erwählte und der Erzählung »Die Betrogene« zu.
Wie ich Thomas Manns Villa umschlich
In der Zeit, in der nur wenig mehr als drei Milliarden Menschen die Erde bevölkerten, hatte ich noch die Vorstellung, die sich erst neuerdings mit elektronischen Mitteln verwirklicht, daß man jeden Menschen auf der Welt treffen und kennenlernen könne. Ich war mit meiner Schwester in die Schweiz gereist, wir reisten per Anhalter. In Zürich wollte ich das Haus von Thomas Mann sehen. Ich umschlich das Gebäude, sah ein Kind auf einem Dreirad fahren. Ich wagte nicht, an der Haustür zu klingeln. Was hätte ich als Grund meines Besuches vorbringen sollen? Ich bin mit Erfolg geprüfter Rechtskandidat, bereite mich auf den Referendardienst in der Justizverwaltung des Landes Hessen vor, möchte Dichter werden und erbitte Ihre Ratschläge. Ihre Werke und die von Thornton Wilder habe ich in der Bibliothek des Amerikahauses in Marburg / Lahn vollständig gelesen. Gern würde ich wie Sie schreiben. Versuche haben ergeben, daß mir das nicht gelingt. Meist werden die Texte kürzer.
Ich erwartete nicht, daß der große Autor mit mir reden würde. Sorgfältig verwaltete er seine Tages- und Lebenszeit. Mit einem Unbekannten würde er die Minuten nicht teilen. Meine Schwester wartete an der Straßenecke wie die Gefährtin eines Verbrechers, die Wache hält.
Eine Romanskizze von Klaus Mann zu einem Stoff seines Vaters
Was nicht sehr bekannt ist: Den Stoff für seinen Roman Königliche Hoheit , der seine frühe Popularität begründete, bezog Thomas Mann nicht aus Beobachtungen in Deutschland. Seine erste Skizze ging von der Heirat des britischen Politikers Lord Curzon mit Mary Victoria Leiter aus. Das war die Tochter des Warenhauskönigs Levi Ziegler Leiter in Chicago. Bald darauf waren der Politiker und die Millionärstochter Vizekönig und Vizekönigin von Indien. Der deutsche Autor entwickelte aus dieser Verbindung, die er in der Presse verfolgte, eine Romanskizze, die verlorenging. Klaus Mann, Thomas Manns Sohn, hat dieses Skriptum eingesehen und sehr spät in seinem Leben seinerseits einen Romanentwurf angefertigt, an dem er in jener Woche, in welcher er sich in Cannes das Leben nahm, noch weiterschreiben wollte. In den Wirren der Polizeiaktion, die auf den Suizid folgte, wurde das Manuskript gestohlen. Jetzt ist das Konvolut in Zürich auf einer Auktion versteigert worden.
Klaus Mann suchte einen ganz anderen Zugang als sein Vater. Eine Ehe zwischen Macht (oder Tradition) und Geld (aus der Neuen Welt) interessierte ihn nicht. Vielmehr fesselte ihn die Ehe so ungleicher junger Menschen, eines Briten von 36 Jahren und einer Amerikanerin von 25 Jahren: Szenen dieser Ehe in England, Indien, Persien, in Paris und in Chicago. Ihn interessierte das Denkmal aus Eisen, das Curzon seiner Frau errichten ließ, nachdem sie gestorben war. Treue und Beharrlichkeit des
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