Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Leben kämpfte, war (im selben Dresden, aber um 20 Jahre später geboren) der Sohn eines kaiserlichen Rechnungsrates namens Felix Langenegger auf der sicheren Strecke einer Beamtenlaufbahn angelangt. Zunächst Regierungsbauführer, dann Regierungsbaumeister, mit großzügigem Sonderurlaub versehen, stand er in den Reihen der »deutschen Eroberer des Orients« als Architekt und Ausgrabungsleiter in Syrien, Kommandeur von 550 Arbeitern. Nördlich der Grabungsstätte: das Projekt der Bagdad-Bahn. Langenegger gehörte zu den Spezialisten, welche die Götter von Tell Halaf ausgruben. Agententätigkeit von 1914 bis 1918.
Dann überwältigte ihn die Welle der Katastrophen. Sein Rückreiseroman Durch verlorne Lande und später die Charakternovelle Die Rache des Abdel Fadl erreichten kein Publikum wie noch Karl Mays Reiseromane. Das Völkerringen bis 1918, die Krisen bis 1939 und der Ausgang des Zweiten Weltkriegs okkupierten das Interesse der Zielgruppe. Weder nach der Wiederkehr der Götter noch nach Reiseromanen waren die Zielgruppen jener Jahre begierig.
Ende 1947 wird ihm, dem 67jährigen, die Bezugsberechtigung für die Drei-Zimmer-Wohnung entzogen. Er soll in ein einziges Zimmer umquartiert werden. Teppiche, Kunstgegenstände, antike Stücke, die er sein Leben lang gesammelt hat, sind verloren. An einen Druck seiner Manuskripte ist nicht zu denken. Noch weiß er nicht, daß sie in die französische Zone in Sicherheit gebracht sind. Da setzt er an einem Samstag abend nach Eintritt der Dämmerung seinem Leben ein Ende.
Abb.: Felix Langenegger in der syrischen Wüste.
Das Blut des Geliebten
Coromius in civitate Romana regnavit, qui habetat quandam mulierem pulchram in uxorem, que quando semel steti in fenestra castri sui, vidit duos milites in quodam prato sub castro adinvicem pugnantes. Unus erat pulcherrimus in tantum, quod domina oculos injecit in eum et capta est in ejus amorem.
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Übers Römische Reich herrschte Coromius, der eine schöne Frau zur Gattin hatte. Sie stand einmal am Fenster ihrer Burg, da sah sie zwei Ritter auf einer Wiese unter der Burg miteinander kämpfen. Einer von beiden war so ungewöhnlich schön, daß die Kaiserin ihn ansah und in Liebe zu ihm entbrannte.
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Wie die Frauen wählen, ist ungerecht. Wie entstehen über acht Generationen aus Kämpfern bunte Ritter! Wie werden sie zu Rivalen! Und dann wird doch nicht der Wagemutigste oder derjenige mit den gleichmäßigen Gesichtszügen belohnt, sondern die Kaiserin entbrennt in Liebe zu einem Bestimmten aus Willkür!
In einer langen Reihe sitzen die Frauen, die Kaiserin vorn links. Dem Anschein nach sind die Frauen zurückhaltend. Durch winzige Reaktionen verständigen sie sich über ihre Urteile, und die addieren sich und entscheiden über Zeiten hinweg über Sieg oder Untergang der Männer, die dort unten paradieren. Ganze Summen von Körper- und Seelenkräften verschwinden durch solche Wahl. Bald wachsen den Männern Hörner, sagt man, ihnen wächst ein Geweih. Wer so spricht, redet bereits von einer anderen Ungerechtigkeit: daß einer betrogen worden ist; das Zeichen hat seinen Sinn umgekehrt. Daß solche Redewendungen entstehen und das Bild, daß zwei Ritter in einem Turnier auf der Wiese unter der Burg auf bestimmte Weise miteinander kämpfen, entwickelte sich in einem Prozeß von über 120 Jahren; wenn man zusieht, scheint es so, als entstünden die Bewegungen im Moment.
In meiner Familie hat meine sonst so kluge Großmutter mütterlicherseits, Martha Hausdorf, geborene Blackburn, ihren Sohn Ernst verhätschelt. Ihre Tochter Therese, die gern ein Junge geworden wäre, hat sie unterdrückt. Ihre andere Tochter Alice vermochte sehr ungerecht zu wählen. Sachlich, generös, vernünftig, hilfsbereit war sie nur bei Freunden, deren Homosexualität sie als Galane disqualifizierten. Wo sie ihr Herz hinwarf (aufgrund von 120jährigen Vorurteilen auf der Frauenseite ihrer Familie), war sie befangen. Sie starb, weil sich ihr Herz zu einem Verräter verirrt hatte. Die Zuwendung von Frauen bleibt unverzeihlich, ungerecht und ist Wurzel von Dramen.
In seinem Werk Die Abstammung der Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl stellt Darwin 1871 fest, daß die rasante sexuelle Evolution, die zur natürlichen Anpassung in Widerspruch steht, darauf beruht, »daß die Weibchen wählen«. Sie sitzen in langer Reihe, äußern sich mit nur geringen Ausschlägen ihres Interesses, so Darwin. Ein Beobachter könnte sie für gleichgültig halten. Im
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