Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Schwarm der Jahrtausende und so zahlloser weiblicher Exemplare, die ihre Reaktionen zusammenlegen, entstehen männliche Wesen mit großem Handicap und ungewöhnlicher Gestalt: Pfauen, Ritter, Schöne, Tollkühne. Zuletzt zeigen sich Frauen als Sklavinnen dessen, was sie hervorgebracht haben, so Darwin polemisch, der sich seine Beobachtung nicht verzieh.
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Finitur bellum et miles, quem domina dilexit, victoriam obtinuit et domum perexit. Domina vero pre nimio amore languere coepit. Imperator constristatus est valde de eius infirmate. Statim fecit vocari medicos, ut statum domine viderent. Qui cum vidissent, dixerunt: »Non est alia infirmatis nisi quendam nimis dilexit, et hec infirmatis est causa mortis ejus.«
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Der Kampf ging zu Ende, und der Ritter, in den sich die Kaiserin verliebt hatte, trug den Sieg davon und kehrte nach Hause zurück. Die Kaiserin aber fing an, aufgrund ihres übermäßigen Verlangens krank zu werden. Der Kaiser war sehr traurig über diese Krankheit. Sogleich ließ er die Ärzte rufen, damit sie den Zustand der Kaiserin untersuchten. Als sie dies getan hatten, sagten sie: »Der einzige Grund für ihre Krankheit ist die Tatsache, daß sie jemanden übermäßig liebt, und diese Krankheit wird auch zu ihrem Tod führen.«
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Der Kaiser vermochte das Zeichen zunächst nicht zu deuten, das in der Krankheit seiner Frau versteckt war. Zwar wußte er allgemein, daß ein Leiden der Seele eine Krankheit des Körpers auslösen kann, aber was war der Grund für das rätselhafte Leiden der Seele, wenn er doch alles tat, das Glück dieser Gattin zu hüten, ja es heranzuzüchten, und er sie ausgewählt hatte, weil er sie seelisch für robust und geeignet hielt, dem Reich Nachkommen zu schenken. Der Stachel der Vorurteile, der die Liebe seiner Frau auf den fremden Ritter lenkte, den sie doch gar nicht genügend kannte, war für ihn unsichtbar.
Er selbst war als Kaiser nicht Produkt der Frauenwahl so vieler Jahrhunderte, sondern ein kurzfristiges Ergebnis, das die weichere, dem Bürgerkrieg abgeneigte »feminine« Seite römischer Legionen, in einer Art DRITTEN EVOLUTION , quasi einer republikanischen, als Typ herangebildet hatte, der zum Kaiser taugte. Weder verhielt er sich gemäß »natürlicher Anpassung« noch »nach Frauenwahl«. Weil kein Instinkt und keine der zwei von Darwin beschriebenen Evolutionen ihn irritierten, richtete sich seine Aufmerksamkeit auf die Rettung seiner Frau, die er in anderer Weise liebte, als es der Zuchtwahl der von Frauen gemachten Männer entspricht.
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Imperator hoc audiens ait uxori: »Dic mihi, rogo te, aut nomina illum mihi, quem tantum diligis preter me.« Cui illa: »Illum militem diligo ante omnia, qui victoriam fecit alia die, et nisi ejus amorem obtinuero, mortem sustinebo.« Imperator cum hoc audisset, ait medicis: »Rogo vos, ut vitam uxoris mee salvetis.«
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Als der Kaiser dies hörte, sprach er zu seiner Frau: »Ich bitte dich, zeige oder nenne mir den Mann, den du außer mir so sehr liebst.« Sie antwortete: »Ich liebe den Ritter über alles in der Welt, der vor einiger Zeit den Sieg errang, und wenn er meine Liebe nicht erwidert, werde ich sterben.« Als der Kaiser dies gehört hatte, sagte er zu den Ärzten: »Ich flehe euch an, das Leben meiner Frau zu retten.«
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Er sah, daß sie sterben würde, nahm zur Kenntnis, daß dies so wäre, weil sie einen anderen als ihn liebte, antwortete hierauf nicht mit Eifersucht, sondern mit der Aufforderung an die Ärzte des Reiches, um jeden Preis das Leben der Kaiserin zu retten.
An einem Altruismus wie diesem stirbt in der Geschichte der Princesse de Clèves der Mann jener schönen Prinzessin. Der Typ des Kaisers Coromius dagegen ist wie durch einen Panzer mit Charakterfestigkeit gewappnet. Ein kaiserlicher Charakter dieser Art folgt dem Sinnspruch Q21c der Pythagoreerin Theano. Dieselbe wurde gefragt: »Was ist Liebe?« Und sie sagte: »Leidenschaft einer müßigen Seele.« Coromius fügte hinzu: »Ti esti eros?«, die Frage: Was ist Liebe? sei mehrdeutig. Wer das Reich liebt, wird die Frage anders beantworten als derjenige, der sich in einen bestimmten Menschen vernarrt. Er wußte, daß ein Zuviel von dieser Tugend auch ihn töten konnte, denn tatsächlich fühlte er sich zur Kaiserin stark hingezogen.
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Bei dieser Geschichte handelt es sich um die Nummer 281 der Gesta Romanorum , die von einem oder mehreren Mönchen aufgeschrieben wurden. Aus den Überlieferungen, die den Schreibern vorlagen,
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