Das Fuenfte Evangelium
Vorzimmer mit Wandteppichen und spärlichem, dunklen Mobiliar durchquert hatte – als Vorzimmerdamen fungieren im Vatikan ausnahmslos schwarzgekleidete Padres –, trat er mit einer Verbeugung in den überheizten Raum, wo Felici hinter einem endlos breiten Schreibtisch mit Aktenstößen und Papier hervorlugte.
»Herr Kardinal!« rief Vilosevic von weitem (eine andere Anrede als diese duldete Felici nicht). »Herr Kardinal, Sie müssen etwas tun. Die Journalisten haben von irgend etwas Wind bekommen. Ich weiß nicht mehr, wie ich sie bändigen soll. Manche von ihnen wissen mehr als ich selbst – jedenfalls habe ich den Eindruck.«
Mit einer freundlichen Geste verwies der Kardinal den Presseamtsleiter auf einen rot bezogenen Stuhl mit hoher Lehne, der in gebührendem Abstand von seinem Schreibtisch einsam auf einem riesigen Teppich stand. »Immer der Reihe nach«, mahnte Felici, und dann gebrauchte er eine Redewendung, über die im Vatikan gespöttelt wurde, weil der Alte sie in keinem Gespräch ausließ: »– und mit Distanz!«
»Sie haben leicht reden, ›mit Distanz‹«, ereiferte sich Vilosevic, »mich haben fünfzig Presseleute bestürmt und mit den abenteuerlichsten Gerüchten konfrontiert, ausgehend von einer Enzyklika, die in Vorbereitung und von großer Bedeutung für die Kirche sei.«
Felici zeigte Gelassenheit: »Jede Enzyklika ist von fundamentaler Bedeutung für die heilige katholische Kirche. Warum nicht diese?«
»Also dürfen wir nun mit einer Enzyklika rechnen? Frage eins: Wann? Frage zwei: Welchen Inhalts?«
»Ich habe nicht gesagt, daß eine Enzyklika in Vorbereitung ist, Padre Vilosevic. Ich habe nur angedeutet, wenn eine Enzyklika in Vorbereitung wäre, so hätte sie dieselbe fundamentale Bedeutung wie alle, die bisher veröffentlicht wurden.«
»Herr Kardinal!« Vilosevic rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »So kommen wir doch nicht weiter! Ich habe nun einmal, bei Gott und allen Heiligen, dieses Presseamt inne, ich bin das Sprachrohr des Stellvertreters, die Journalisten erwarten zu Recht von mir eine Erklärung. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß seit Monaten im Vatikan Unruhe um sich greift, aber keiner weiß warum, niemand redet darüber. Kein Wunder, wenn wilde Gerüchte im Umlauf sind! Eben wurde ich damit konfrontiert, die südamerikanischen Bischöfe planten einen Massenaustritt aus der Kirche.«
»Sie haben hoffentlich sofort dementiert, Vilosevic!«
»Nichts habe ich. Ich habe zu den absurden Behauptungen geschwiegen, und ich werde solange dazu schweigen, bis ich eine Erklärung von höherer Stelle erhalte. Wer weiß, vielleicht ist etwas dran an dieser Behauptung?«
»Lächerlich!« zischte Felici und erhob sich von seinem Schreibtisch. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken, trat an eines der hohen Fenster und blickte auf den Petersplatz, der um diese Jahreszeit verlassen dalag; selbst die weißen Marmorfiguren auf den Kolonnaden des Bernini, die für gewöhnlich in den Himmel leuchteten wie Fackeln in der Nacht, verbreiteten Melancholie.
»Dem Herrn sei Dank«, begann Felici, ohne seinen Blick von dem Fenster zu wenden, »dem Herrn sei Dank, daß diese Angelegenheit nicht mir obliegt, sondern dem Leiter des Heiligen Offiziums, Kardinal Berlinger.«
Von der Seite konnte Vilosevic sehen, daß Felicis Gesicht einen Anflug von Schadenfreude zeigte, als er den Namen nannte. Schließlich kam der Kardinal auf Vilosevic zu. Der erhob sich, und als sich beide ganz nahe gegenüberstanden, sagte Felici bedächtig: »Ich möchte, da Sie mein Freund sind, Sie mit der Wahrheit konfrontieren, die die Ursache ist für die Unruhen innerhalb der Kurie. Aber, Bruder in Christo, geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie Stillschweigen darüber bewahren werden – bis höhere Weisung kommt. Diese Wahrheit ist bitter für unsere Kirche, und manche, die sie kennen, vertreten die Ansicht, sie könnte diese Wahrheit nicht überleben – deshalb die Unruhe.«
»Bei Gott und allen Heiligen, worum geht es?«
»Wie es scheint, müssen wir uns damit abfinden, daß Matthäus, Markus, Lukas und Johannes nicht die einzigen Evangelisten sind. Wie es scheint, gibt es ein fünftes Evangelium, das Evangelium nach Barabbas. Man hat es in einem koptischen Grab entdeckt, und Jesuiten der Gregoriana sind gerade dabei, es zu übersetzen.«
»Ich verstehe nicht!« wandte Vilosevic ein. »Ein fünftes Evangelium bedeutete doch nur eine Stärkung für die Lehre der heiligen Mutter
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