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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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auf unerklärliche Weise Hemmungen, weitere Fragen zu stellen; sie spürte, daß Rauschenbach nicht weiterreden wollte, und sicher hätte er irgendwelche Ausflüchte gebraucht. Deshalb kam sie auf den eigentlichen Grund für ihre Anwesenheit zurück, und sie fragte: »Was meinen Sie, könnte nicht dieses Pergament aus der von Ihnen geschilderten Entdeckung stammen?«
    »Das ist unmöglich!« antwortete dieser, ohne zu überlegen, und als wollte er sich noch einmal vergewissern, hielt er die Fotografie dicht vor die Augen. »Das ist wirklich ganz unmöglich.«
    »Und warum sind Sie so sicher?«
    »Ganz einfach. Weil es sich bei Ihrem Dokument um ein Pergament handelt.«
    »Ja, und?«
    »Bei den erwähnten Handschriften handelt es sich um Papyri. Aber das muß Sie nicht enttäuschen. Es gibt genug Pergamente, die sind auf Grund ihres Inhaltes weit kostbarer als Papyrushandschriften.«
    So endete das Gespräch. Rauschenbach meinte, Anne solle in drei Tagen wiederkommen, bis dahin würde er sich mit dem Text auseinandergesetzt haben.
    Auf dem Nachhauseweg, den sie zu Fuß zurücklegte, machte sie sich Gedanken wegen des seltsamen Verhaltens von Rauschenbach. Sie hatte sich die Begegnung gar nicht viel anders vorgestellt, aber da gab es eine Sache, die sie störte: Der gescheite Dr. Rauschenbach hatte viele Worte verloren über koptische Texte, aber er war nicht mit einem Wort auf den Inhalt ihres Pergaments eingegangen, hatte auch keine Vermutung geäußert – ungewöhnlich für einen redseligen Trinker wie ihn.
    Was sie aus diesem Verhalten hätte folgern sollen, wußte Anne nicht. Sie war sich auch unschlüssig, ob sie dem zu erwartenden Gutachten trauen konnte; andererseits fand sie aber auch keinen einleuchtenden Grund, warum Rauschenbach ihr auf unehrliche Weise begegnen sollte. Der Umstand, daß er wegen seiner verkommenen Lebensweise, die er allzu bereitwillig seinem schweren Schicksal zuschrieb, nicht ihrem Geschmack entsprach, mußte nicht unbedingt zur Folge haben, daß er ein schlechter oder nachlässiger Wissenschaftler war. Zeichnen sich doch die meisten Genies durch einen ungewöhnlichen Lebensstil aus.
9
    W ährend der folgenden drei Tage versuchte Anne die Dinge in ihrem Kopf zu ordnen, und dabei ertappte sie sich, daß sie dort, wo sie einfach nicht mehr weiter wußte, wo sie sich keinen Reim machen konnte auf das Geschehen, begann, Geschichten zu erfinden, Geschichten, die ihr am Ende Angst einjagten, eine unerklärliche, furchtbare Angst. In einer dieser Handlungen begegnete sie Rauschenbach, der sie verfolgte, um in den Besitz des geheimnisvollen Pergamentes zu kommen, und Donat, dem Mann der Gelähmten, der, Gott weiß warum, den tödlichen Verkehrsunfall inszeniert hatte wie in einem Kriminalroman.
    In diesen Tagen begann sie, entgegen früherer Gewohnheit, zu trinken, in der Hauptsache Cognac, der ihr anfangs noch schmeckte, aber nach übermäßigem Genuß ihren Magen derart durcheinanderbrachte, daß sie sich wiederholt übergeben mußte. Sie haßte sich deswegen, und sie vermochte selbst nicht auszudrücken, was in ihr vorging. Es erging ihr wie einem Falter im Sog eines Luftstromes, der von einer gewaltigen Macht gehindert wird, in die angestrebte Richtung zu fliegen. Anne fühlte sich in den Luftstrom eines unbekannten Zwanges gezogen, der sie in immer mehr unerklärliche Situationen verstrickte, und sie war einfach nicht stark genug, sich aus diesem Dilemma zu lösen. Sie dachte daran, einen kleinen Koffer zu packen, nur das Nötigste, und mit dem nächsten Flugzeug in die Karibik zu fliegen, ohne ihre Adresse zu hinterlassen; aber schon im nächsten Augenblick begegnete sie dem Rotbackigen, der sie beim Verlassen des Flugzeuges erwartete. Anne litt unter Verfolgungswahn, jener krankhaften Überzeugung, die banale Äußerungen oder zufällige Begebenheiten wahnhaft als immer nur gegen sich bezogen umdeutet.
    Wo aber lag der Ausweg aus diesem Teufelskreis? Wer wollte leugnen, daß in den letzten Tagen und Wochen Dinge geschehen waren, die es ihr schwermachten, nicht an ihrem Verstand zu zweifeln? Guido war tot, eine rätselhafte Frau in seinem Wagen spurlos verschwunden, unbekannte Leute verfolgten sie und boten ihr ein Vermögen für ein Objekt, das angeblich nicht mehr wert war als ein paar hundert Mark. Das waren Tatsachen und keine Hirngespinste.
    Jedenfalls war ihr nicht wohl zumute, als sie am Freitag gegen 17 Uhr Rauschenbach aufsuchte, wie vereinbart. Irgendwie paßte er in dieses

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