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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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daß es sich so zugetragen hat und nicht anders.«
    Den Professor schien Annes Erklärung in keiner Weise zu verwundern oder gar zu beunruhigen. Er sagte nur: »Interessant.« Und noch einmal: »Interessant.«
    Während der Unterredung waren Anne und Adrian jeder für sich zu der Überzeugung gelangt, daß der Professor, so wie er ihnen heute gegenübersaß, durchaus normal war. Was nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte; denn ist es nicht ein typisches Zeichen von Schizophrenie, daß sich Phasen des Verwirrtseins und der Klarheit ablösen?
    Eher beiläufig fragte Kleiber, ob Vossius bereits mit dem Ergebnis seines Anschlages konfrontiert worden sei.
    Da sah der Professor den Fragesteller mit großen Augen an.
    Kleiber zog die Fotografie aus einem Umschlag und legte sie vor Vossius auf den Tisch. Der starrte auf den großen scheckigen Fleck auf dem Dekolleté der Madonna, in welchem deutlich eine Kette aus Edelsteinen zum Vorschein kam. »Mein Gott«, stammelte er, »ich habe es gewußt, ich habe es immer gewußt. Das ist der Beweis für Leonardos Botschaft!«
    »Ich verstehe Sie nicht, Professor«, bemerkte Anne, und Kleiber fügte hinzu: »Können Sie uns erklären, was Sie mit Leonardos Botschaft meinen?«
    Vossius nickte. »Ich glaube, Sie beide sind ohnehin die einzigen Menschen in Paris, die mir glauben werden.« Er rückte seinen Stuhl näher an die Besucher heran.
    Kleiber tippte auf die Fotografie. »Unter den Experten ist nun eine heftige Diskussion in Gang gekommen, wie das Gemälde restauriert werden soll, ob mit oder ohne Halskette.«
    »Ach was, Experten!« schnaubte der Professor. »Haben Sie schon einmal eine Madonna mit einer Halskette aus Edelsteinen gesehen?«
    »Nicht bewußt«, erwiderte Kleiber, und Anne schüttelte den Kopf. Keiner von ihnen begriff, worauf Vossius hinauswollte.
    »Aber Leonardo da Vinci hat die Kette doch offenbar gemalt«, wandte Anne ein, »oder glauben Sie, sie ist eine Fälschung aus späterer Zeit oder das Beiwerk eines seiner Schüler?«
    »Im Gegenteil, liebe Nichte«, ereiferte sich Vossius, »Leonardo hat diese Halskette mit voller Absicht gemalt, und es war auch seine Absicht, sie nach Vollendung unter einer ockergelben Fleischfarbe verschwinden zu lassen.«
    Während er redete, beobachtete Adrian Kleiber den Professor von der Seite. Er wußte nicht recht, was er von Vossius' Worten halten sollte. Der Professor machte den Eindruck, als steigere er sich in eine Sache hinein, die weit ab von jeder Realität lag, und in ihm kamen Zweifel auf, ob sie dem psychischen Zustand dieses Mannes nicht doch zuviel Vertrauen entgegengebracht hatten. Aber schon im nächsten Augenblick war Kleiber gefangen von dem Bericht des Professors.
    »Die Welt steckt voller Geheimnisse. Viele sind so groß, daß sie den Verstand der meisten Menschen überschreiten, und das ist vielleicht ganz gut so. Denn viele, die davon erführen und ihre ganze Tragweite begriffen, würden den Verstand verlieren. So ist es seit urdenklichen Zeiten Brauch, daß diese Geheimnisse der Menschheit von den Klügsten der Spezies Mensch an die Klügsten weitergegeben werden, mit der Auflage zu schweigen, bis die Zeit gekommen ist, sie zu offenbaren.«
    Anne wurde ungeduldig. Sie wollte fragen: Was um Himmels willen hat die Halskette auf dem Gemälde mit den Geheimnissen der Menschheit zu tun, aber Vossius' Worte ließen sie verstummen.
    »Seit fünfhundert Jahren«, sagte Vossius weiter, »rätseln die Menschen herum, was William Shakespeare gemeint haben könnte, als er sagte, es gebe mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Shakespeare war einer der Geheimnisträger, genauso wie Dante, ebenso Leonardo da Vinci. Jeder von ihnen gab ein heimliches Zeichen, eine verschlüsselte Botschaft. Shakespeare und Dante bedienten sich der Sprache, Leonardo gebrauchte natürlich die Malerei für seine Zwecke. Aber sogar in seinem schriftlichen Nachlaß fanden sich Hinweise auf sein Wissen, jedoch keine Belege.«
    »Ich verstehe«, sagte Kleiber, »Sie wollten mit diesem Säureattentat den Beweis für Ihre Entdeckung erbringen.«
    »Und das ist mir gelungen«, erwiderte Vossius und klopfte mit der flachen Hand auf die Fotografie. »Das ist der Beweis!«
    »Die Halskette?« fragte Anne ratlos.
    »Die Halskette«, stellte der Professor nüchtern fest und suchte mit den Augen den Wärter, der teilnahmslos auf dem Stuhl neben der Tür saß. Die Besuchszeit war längst abgelaufen, und Anne

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