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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Weile, bis er sich beruhigt hatte; dann erklärte sie Vossius, sie habe ein koptisches Pergament, auf dem sei der Name Barabbas identifiziert worden, und ein Münchner Professor habe ihr verraten, daß er, Vossius, der bedeutendste Forscher in Sachen Barabbas sei – die ganze wahre Geschichte erzählte sie ihm nicht.
    Die Erklärung schien den Professor zu befriedigen, ja, sie versetzte ihn sogar wieder in eine gewisse Ruhe – um nicht zu sagen Apathie. Vossius lehnte sich zurück, lächelte gequält und stellte die Frage: »Was wissen Sie über Barabbas, was?«
    »Ich will ehrlich sein«, erwiderte Anne, »aber ich weiß über dieses Phantom überhaupt nichts.«
    Da wandelte sich Vossius' Gesichtsausdruck zur theatralischen Geste eines Triumphators, er reckte den Hals, zog die Augenbrauen hoch, daß sie Halbmonde bildeten, und ließ geräuschvoll Luft durch die Nase entweichen wie ein Dampfroß. Man sah ihm an, daß er die Situation genoß, weil er endlich ernst genommen wurde.
    Vossius wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als der Stationsarzt die Tür aufstieß und in barschem Kommandoton in den Besucherraum rief: »Ende der Sprechzeit. Kommen Sie, Vossius!«
    Kleibers Einwand, er möge ihnen noch fünf Minuten gestatten, tat der Psychiater mit einer unwilligen Handbewegung ab, und er verwies darauf, sie könnten, wenn es denn sein müsse, am folgenden Tag wiederkommen.
    Während Vossius von dem Pfleger abgeführt wurde, trat Kleiber an den Arzt heran und sagte, er habe den Eindruck gewonnen, daß der Patient unter starken Sedativa stehe und daß die verabreichte Dosis den Bedarf bei weitem übersteige. Vossius sei ruhig und, wie es schien, sogar bei klarem Bewußtsein, und es sei gewiß nicht in seinem, des Arztes, Sinne, wenn er ein Dienstaufsichtsverfahren gegen ihn beantrage. Ein ähnlicher Fall an einer anderen Klinik, bei dem ein Arzt seine Patienten zu ruhig gespritzt hatte, habe erst im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht. Zur Vermeidung ähnlicher Vorkommnisse legte Kleiber dem Psychiater nahe, den Patienten für den morgigen Besuch ohne Drogen zu belassen.
    Kleibers harte Worte verfehlten nicht ihre Wirkung auf den Arzt. Zwar antwortete er schnippisch, man könne die ärztliche Entscheidung getrost ihm überlassen, fügte jedoch versöhnend hinzu, er wolle sehen, ob der Patient gegebenenfalls auch ohne stärkere Sedativa auskomme.
    Für Kleibers souveränen Umgang mit dem Psychiater empfand Anne große Bewunderung. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, daß Adrian einer Situation nicht gewachsen war. Er schien einfach keine Probleme zu kennen, und er war in der Situation, in der sie sich befand, genau der richtige Mann.
    Als sie St. Vincent de Paul schweigend verließen und durch das Seitenportal ins Freie traten, wo ein scharfer Herbstwind große Kastanienblätter vor sich hertrieb, hingen Anne und Adrian beide demselben Gedanken nach: War dieser Vossius nun verrückt oder nicht?
    »Was ist deine Meinung?« fragte Kleiber im Gehen, während er Anne unterhakte.
    »Schwer zu sagen nach der kurzen Begegnung.«
    »Wenn ich mir alle seine Antworten vergegenwärtige, muß ich sagen, er hat logisch reagiert. Ich hätte in dieser Situation auch nicht anders geantwortet, vor allem, wenn man bedenkt, in welchem Zustand er war!«
5
    F ür den folgenden Tag legten sie sich einen genauen Plan zurecht, wie sie den Professor am ehesten zum Sprechen bringen konnten. Was Vossius in seiner Situation am tiefsten bewegte, so argumentierte Kleiber, sei zweifellos das Säureattentat, dem er schließlich die Einlieferung in die Psychiatrie verdanke. Deshalb müsse man ihn mit dem Ergebnis seiner Tat konfrontieren und seine Reaktion beobachten. Vielleicht würde der Schock seine Zunge lösen.
    Bei der Bildagentur AFP besorgte Adrian Kleiber ein Farbfoto des beschädigten Leonardo-Gemäldes, und am folgenden Nachmittag fanden sie sich wieder in St. Vincent de Paul ein.
    Vossius wirkte total verändert. Er sagte zu Anne ›liebe Nichte‹ und zu Adrian ›lieber Neffe‹ und spielte das Spiel, das sie begonnen hatten, nun seinerseits mit. Er habe, erklärte der Professor, heute noch keine Spritze bekommen, sei deshalb bei klarem Verstand und wolle den Besuchern erst einige Fragen stellen.
    Damit hatte Anne von Seydlitz gerechnet, und sie hatte sich ihre Geschichte stichwortartig zurechtgelegt. »Ich weiß«, sagte sie, nachdem sie geendet hatte, »das klingt alles sehr unglaubhaft, aber ich schwöre Ihnen,

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