Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Sage nach ein Hirte bemerkte, dass die schwarzen Steine neben seinem Lagerfeuer Feuer gefangen hatten.«
Ach so. Der mittelalterliche Cowboy hatte also die Kohle entdeckt. Deshalb die Heldenverehrung.
»Mit Beginn der Industrialisierung rückte die Landwirtschaft in den Hintergrund, 1870 trieb der letzte Kuhhirte seine Tiere von der städtischen Weide. Dafür zog der Bergbau Menschen aus ganz Europa an und Bochum wuchs innerhalb von hundert Jahren vom Zweitausend-Seelen-Städtchen zur Großstadt. Mein Großvater hat sein Land verkauft und meine Eltern haben in der Zeche gearbeitet. Ich habe den Bergbau in Gerthe noch miterlebt.«
Klang fast, als wäre Silvia Fromm ein sprechendes Fossil.
»Das Gebäude, in dem wir uns befinden und das baugleiche Haus nebenan wurden zwischen 1952 und 1956 für die Zechenarbeiter errichtet. Damals sind hier ganze Straßenzüge aus dem Boden geschossen«, referierte Silvia Fromm weiter. »Jedes der beiden Häuser enthält fünf Wohnparteien. Ganz hinten im Eckhaus des Gebäudes nebenan, in der Nummer 68, wohnt der Lorenz Wiesinger. Zur Miete übrigens. Er ist vor fünf Jahren hergezogen.«
Der Pizza-Fan, jetzt wurde es interessant.
»Bis 2008 hat ein Sohn der Besitzerfamilie das Haus noch selbst bewohnt. Aber dann hat er bei der Schließung des Nokiawerks seinen Job verloren und ist ins Ausland gegangen. Daneben lebt die besoffene Sprack, die Miete zahlt wohl das Amt. In der Mitte der Polizeipräsident. In dem Gebäudeteil der Schröders lebt noch der Junge, der Archibald, mit seinem Hund. Ganz allein, der Arme, seit die Mutter verstorben ist.«
Silvia Fromm redete vermutlich von der gut gekleideten Pudeldame. Mit dem ›Jungen‹ meinte sie dann wohl den Hundebesitzer, der längst über fünfzig war.
»Und auf der anderen Ecke wohnen die Ebel-Brüder, die sind auch hier geboren. Der Jüngere ist schon ewig bei Opel.«
Danner kratzte sich am Kopf. »Ich glaube, ich mach mir ’ne Skizze.«
Tatsächlich zückte er Kugelschreiber und Notizblock.
»Im Eckhaus unseres Gebäudes wohnt die Familie Hausschulz. Er ist Fernfahrer, die ganze Woche unterwegs. Sie kümmert sich um die drei Kinder.«
Und neuerdings auch um den Polizeipräsidenten?
»Meine Tochter und ihr Mann wohnen daneben. Mit meinem kleinen Enkel Leon. Das ist ein ganz süßer Wonneproppen. In der Mitte haben wir das Haus von Bine und Alwin, nebenan die Hesskamps und hier im Eckhaus lebe ich allein, seit mein Mann vor drei Jahren gestorben ist.«
Danner kritzelte die Namen in die grob skizzierten Reihenhäuser in seinem Notizblock.
»Wie kam es zu der Messerattacke?«, nutzte ich Silvia Fromms Atempause, um selbst zu Wort zu kommen. »Gab es Streit zwischen Frau Sprack und Bine Kopelski?«
»Ach!«, Silvia Fromm schnaufte verächtlich. »Die Sprack stiftet gern Unruhe. Sie beklagt sich ständig. Die Zusteller wären unhöflich, zu spät, unzuverlässig. Sie hat die Zeitung auch schon mal selbst verschwinden lassen, um sich beschweren zu können. Kein Wunder, dass Bine den alten Drachen hasst.«
»Hasst?« Ein starkes Wort für eine Kundin, der man die Zeitung brachte.
Silvia Fromm rührte einen Löffel Zucker in ihren Kaffee. »Na ja, die beiden sind sehr gegensätzlich. Die Sprack hat ihren Kerl vor vielen Jahren rausgeschmissen und drei Kinder allein großgezogen. Als die Kinder aus dem Haus waren, hat sie mit dem Saufen angefangen.«
»Und?«
Silvia Fromm rührte noch immer in ihrem Kaffee.
»Bine hat nichts übrig für Menschen, die nicht arbeiten.«
Hm. Das konnte zu Schwierigkeiten führen, wenn der eigene Ehepartner ebenfalls seit Jahren keinen Job mehr fand.
»Sie hat die Sprack wohl mal als Parasiten beschimpft«, druckste Silvia Fromm herum. »Danach hat die Sprack angefangen, ihr aufzulauern. Nachts hat die auf der Straße rumgebrüllt. Bine solle sich bloß nichts einbilden auf ihre Ehe und ihren Zeitungsjob. Sie würde lieber allein saufen, als einen Typen wie Alwin zu bedienen.«
Oha, das Gespenst besaß ein Gehirn.
»Das ging so weit, dass sie irgendwann mit dem Messer auf Bine losgegangen ist«, beendete Silvia Fromm ihren Bericht.
»Wurde Bine bei der Attacke verletzt?«
Der Kaffeelöffel klingelte gegen die Keramik.
»Ich glaube, die Sprack hat sie an der Schulter erwischt. Jedenfalls wollte sie Anzeige erstatten.«
Danner hatte aufgehört, Häuser zu malen.
»Glauben Sie, Frau Sprack könnte mit Bine Kopelskis Verschwinden in Zusammenhang stehen?«, mischte er sich ein.
Auf einmal
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